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PREDIGT ZUM BITTSONNTAG (5. SONNTAG NACH OSTERN), GEHALTEN IN DER FRAUENKIRCHE IN NECKARSULM AM 17. MAI 2009

„WENN IHR DEN VATER IN MEINEM NAMEN UM ETWAS
BITTEN WERDET, WIRD ER ES EUCH GEBEN“

Das Evangelium des heutigen Sonntags ist den Abschiedsreden Jesu entnommen. Über vier Kapitel erstrecken sie sich im Johannes-Evangelium, um dann in einem fünften mit einem Abschiedsgebet, dem uns vertrauten Hohenpriesterlichen Gebet, zu enden, das ge- wissermßen die Krönung der Abschiedsreden bildet. Dabei hat das ganze Johannes - Evan- gelium nur einundzwanzig Kapitel. Hier verheißt Jesus seinen Jüngern, dass Gott all ihre Gebete erhören wird, wenn er nicht mehr bei ihnen sein wird, wenn sie Gott in seinem Namen, das heißt: unter Berufung auf ihn und in der Verbundenheit mit ihm bitten werden. Das ist ein wunderbares Geschenk für die Jünger, die damals traurig waren, ein wun- derbares Geschenk aber auch für uns alle, wenn wir von diesem Geschenk nur Gebrauch machen. Im liturgschen Beten werden wir immerfort an diese Verheißung erinnert, wenn wir uns in den feierlichen Gebeten durch Christus im Heiligen Geist an den Vater wenden.

Der heutige Sonntag trägt von altersher den Namen Bittsonntag, „Rogate“, zu deutsch „bit- tet“. Ihm folgen die drei Bittage vor dem Fest der Himmelfahrt des Herrn, zu ihnen gehö- ren in ländlichen Gegenden die Bittprozessionen, in denen die Kirche seit eh und je für mannigfache menschliche Anliegen bittet, besonders für die Früchte der Erde und für das menscliche Schaffen, oftmals in Verbindung mit dem Fasten, das Fasten intensiviert das Gebet.

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Beten ist dasselbe wie bitten. Es ist der gleiche Wortstamm, der uns da begegnet. Das Gebet nimmt seinen Anfang beim Bitten, wenngleich es dabei nicht bleiben darf. Es müssen das Dankgebet und der Lobpreis Gottes hinzukommen. Aber zunächst bedeutet Beten Bitten. Die ursprünglichste Form des Gebetes ist das Bittgebet. Das Hauptgebet der Christenheit, das Va- terunser, das Jesus selber seine Jünger gelehrt hat, ist, mit seinen sieben Bitten, ein ausge- sprochenes Bittgebet.

Gott kann unsere Gebete erhören, und er will es. Das bezeugt nicht nur diese unsere Stelle des Evangeliums, das bezeugt die ganze Heilige Schrift. Er will uns allerdings nur dann hel- fen will, wenn wir glauben und vertrauen, wenn wir ihn beharrlich bitten und wenn wir auf ihn hören und uns bemühen um seine Gebote und um seinen heiligen Willen, wenn wir ihm ein lauteres und reines Herz präsentieren. Das ist hier nicht anders als im natürlichen Leben. Wenn wir Gott keine Liebe entgegenbringen, kann sein Wohlgefallen nicht auf uns ruhen. Um alles dürfen, ja, sollen wir Gott bitten, und das ohne Unterlass, um alles, was uns nicht von ihm trennt, um alles, was wir in unserem irdischen Leben brauchen und vor allem um Weisheit und Einsicht, damit wir recht erkennen und recht handeln und zum ewigen Leben gelangen.

In jedem Anliegen sollen wir beten. Auch die kleinen Dinge des Alltags dürfen, ja, sollen wir von ihm erbitten. Keine Sorge ist so unbedeutend, als dass wir Gott damit nicht belästigen dürften. Dabei erwartet Gott von uns, dass wir ihm unsere Sorgen nicht einmal oder zweimal, sondern immer wieder vortragen, unaufhörlich sollen wir das tun, ohne Unterlass, beharrlich. Wir sollen nicht müde werden und nicht nachlassen in unserem Beten, wenn die Erhörung auf sich warten lässt, und das aus dem Glauben an die Macht und Liebe Gottes heraus, der all unsere Gebete erhört, und aus dem Vertrauen auf den, der uns die Erhörung verheißen hat, wenn wir in seinem Namen bitten. Nicht müde werden, das heißt: nicht mutlos werden, das heißt aber auch: nicht zweifeln an der Kraft des Gebetes. Manchmal lässt Gott uns des- halb warten, damit unser Glaube und unser Vertrauen durch das beharrliche Gebet wachsen, damit wir uns zu ihm emporbeten und uns bereiten für sein Wirken.

Gott erhört all unsere Gebete, wenn wir nur in rechter Weise beten. Das heißt allerdings nicht, dass er uns auch unsere törichten Bitten erfüllt. Das wäre seiner nicht würdig. Er kennt unsere Vergangenheit, unsere Gegenwart und unsere Zukunft. Und aus seiner umfassenden Kenntnis heraus gibt er uns mehr, als wir erbitten, vorausgesetzt dass wir beharrlich bitten, mit einem starken Glauben und mit großem Vertrauen.

Wir würden uns selber etwas vormachen, würden wir die Augen vor der Tatsache verschlie- ßen, dass die Zahl derer, die nicht mehr beten, heute sehr groß ist und dass sie immer größer wird, ganz zu schweigen vom beharrlichen Beten. Mit dem Bittgebet ist es heute nicht gut be- stellt. Viele, auch katholische Christen, nominell katholische Christen, runzeln die Stirn, wenn vom Bittgebet die Rede ist, und viele aufgeklärte Christen haben es schon lange aufge- geben und auf den Müll der Geschichte ihres Lebens geworfen. Da fehlt es am Glauben.

Viele sind heute der Meinung, dass Gott unsere Gebete weder erhören kann noch erhören will, wenn sie nicht gar an seiner Existenz zweifeln. Darin müssen wir zuweilen auch die Verantwortlichen in der Kirche einbeziehen. Vielen erscheint der Gott der Offenbarung so fern und so unwirklich, dass sie schon gar nicht mehr im Ernst mit ihm rechnen. Deshalb setzen sie lieber ihre Hoffnung auf die sichtbare Welt, auf die Menschen und auf sich selbst. Dieser Geist oder besser: dieser Ungeist geht an keinem von uns ganz vorüber. Je geringer unser Gottvertrauen ist, umso größer ist unser Selbstvertrauen. Je größer unser Selbstvertrau- en aber ist, umso geringer ist unser Gottvertrauen. Das erfahren wir alle Tage, wenn wir die Augen aufmachen. Der Stolz ist eine bedeutende Macht in unserer Welt und in unserem Leben, der freilich nicht selten als Trotzreaktion zu verstehen ist und aus Minderwertigkeits- komplexen hervorgeht.

Manche sagen, die Vorstellung, dass Gott in unsere Welt und in unser Leben eingreifen wür- de, sei kindlich. Kindlich sei vor allem die Vorstellung, Gott werde sich durch uns bewegen lassen, in unsere Welt und in unser Leben einzugreifen. Vollends verständnislos sind sie dann gegenüber der Vorstellung, dass wir die Heiligen einbeziehen könnten in die Bitten, die wir Gott vortragen. Manche denken so, weil die säkularisierte Öffentlichkeit so denkt, weil es so der öffentlichen Meinung entspricht, andere aber auch deshalb, weil sie schlechte Erfah- rungen gemacht haben mit dem Bittgebet. Sie sagen: sie haben gebetet, und Gott hat ihnen nicht geholfen, er hat ihr Gebet nicht erhört. Wer so redet, versteht nicht, dass Gott unsere Bitten nicht mechanisch erhört. Das kann Gott gar nicht, er kann unsere Bitten nicht mecha- nisch erhören, weil er die Dinge ja von einer höheren Warte her sieht. Auch der irdische Va- ter erfüllt seinem Kind nicht seine törichten Wünsche. Das gibt es zwar, dass Eltern den Kin- dern alle Wünsche erfüllen und ihnen auch das geben, was ihnen schadet, heute vielleicht noch häufiger als früher, aber solche Eltern lieben ihre Kinder nicht.

Es wird heute nicht mehr genug gebetet in der Kirche. Das ist das große Gravamen in ihr heute. An die Stelle des Gebetes ist zum einen vielfach die endlose Diskussion getreten, das unaufhörliche Gerede, womit sich dann schließlich oftmals das unbegrenzte Vertrauen auf das eigene Machen verbindet. Ebenso oft ist zum anderen an die Stelle des Gebetes einfach die Gedankenlosigkeit getreten, die geistige Passivität, das Fernsehen, das Sich-berieseln -Lassen, das Sichunterhalten-Lassen.

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Gott erhört all unsere Bitten, wenn wir ihn im Namen Jesu bitten, und er lässt sich auch durch die Fürsprache der Heiligen bewegen, unsere Bitten zu erhören. Dieses wunderbare Ge- schenk Jesu an seine Jünger, wir dürfen es nicht vergessen. Es ist vergeblich für uns, wenn wir von ihm keinen Gebrauch machen. Die Zeit, die wir Gott im Gebet schenken, ist in jedem Fall wertvoller für uns als die übrige Zeit des Tages. Das erfahren wir, wenn wir damit an- fangen. Das Gebet ist der Ernstfall des Glaubens. Wenn wir unsere Bitten nicht vor Gott tragen im Namen Jesu, verlieren wir uns in dieser Welt, verspielen wir unsere Berufung, können wir das übernatürliche Ziel unseres Lebens nicht erreichen, denn in den Schoß fällt es uns nicht. Amen.

PREDIGT ZUM 5. OSTERSONNTAG (4. SONNTAG NACH OSTERN), GEHALTEN AM 10. Mai 2009 IN FREIBURG, ST. MARTIN

„DAS IST DAS GEBOT GOTTES: GLAUBEN AN SEINEN SOHN JESUS CHRISTUS
UND EINANDER LIEBEN, WIE ER ES UNS GEBOTEN HAT“

Viele Menschen haben schon seit geraumer Zeit - vor allem in der westlichen Welt - Gott und die Religion abgeschrieben.  Für sie ist der Mensch das höchste Wesen, so sagen sie. Sie hul- digen einem Humanismus ohne Gott. Über den Menschen hinaus gibt es nichts mehr für sie. Dabei ist an die Stelle der Religion für sie die Moral getreten. Diese aber erschöpft sich darin, mitmenschlich zu sein, jedenfalls sofern sie diese ihre Moral artikulieren. Ihr Ideal ist der gute Mensch, was immer man darunter versteht. Sie nennen das Humanismus. Mit ihm wollen sie eine bessere Welt bauen, eine Welt ohne Gott. Wie weit das gelungen ist, wie weit es menschlicher zugeht in unserer Welt, im öffentlichen Leben und in den Familien, seitdem die säkularisierte Religion des Humanismus die Herrschaft angetreten hat, die sich auch als die Religion der Toleranz versteht, seitdem sich so viele von Gott abgewandt und den Menschen in den Mittelpunkt gerückt haben, diese Frage ist nicht schwer zu beantworten. Wir sehen: Wo immer die Religion zusammenbricht, da bricht schon bald auch die Moral zusammen. Es ist nicht möglich, eine menschenwürdige und wirklich menschliche Welt ohne Gott zu bauen. Das sagt uns die Erfahrung, das sagt uns aber auch die Vernunft, wenn wir sie wirklich gebrau- chen. Die Absage an die Religion, speziell an das Christentum, hat das allgemeine Durchein- ander zur Folge, wie es sich uns heute in vielen Bereichen zeigt, im Großen wie im Kleinen, das Chaos, die Anarchie. Die Anarchie aber ruft die Gewaltherrschaft auf den Plan, die Ge- waltherrschaft eines Einzelnen oder einer Clique, offen oder latent. Deutlich erkennen wir in der Gegenwart, wie das totalitäre Denken in unserer Gesellschaft wächst, in dem Maß, so könnte man sagen, in dem man die Toleranz beschwört. Die Gesetzlosigkeit und die Will- kür führen die Menschen auf die Dauer in die Versklavung, wenn nicht in die äußere, so doch in die innere, oder vielleicht zunächst in die innere und dann in die äußere.

Wo der Mensch zum höchsten Wesen gemacht wird, wo man ihn an die Stelle Gottes setzt, da brechen alle Ordnungen zusammen, da wird der Mensch zum tiefsten Wesen degradiert, er- niedrigt unter das Tier. Wo der Mensch Gott vom Thron stürzt, da etabliert sich ein schran- kenloser Egoismus, da ergreift die Rücksichtslosigkeit das Szepter. Das ist eine Erfahrung, die sich heute in vielfältigen Formen abzeichnet. Ohne Gott und ohne die Verantwortung vor Gott wird die Welt unmenschlich, weil sie so aus allen Ordnungen herausfällt und aus den Fugen gerät. Dafür zu sorgen, dass sie mit Gott menschlich wird, das ist unsere Berufung, eine Aufgabe, die uns allen, einem jedem von uns, von Gott zuteil geworden ist.

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Die Offenbarung wird nicht müde, uns daran zu erinnern, dass wir für die Ewigkeit leben. So geschieht es auch heute in der (zweiten) Lesung wie auch im Evangelium. Beide Texte er- mahnen uns nachdrücklich, zunächst für Gott leben, das zu tun, was Gott gefällt, nicht das, was den Menschen gefällt, und reiche Früchte zu bringen für die Ewigkeit.

Die (zweite) Lesung des heutigen Sonntags ruft uns dazu auf, dass wir die Gebote Gottes hal- ten, das bedeutet vor allem, dass wir an Jesus Christus glauben und dass wir einander lieben. Das Fundament dieses Glaubens und dieser Liebe ist die Hoffnung auf die Ewigkeit. Das ist der Grundtenor aller Texte des Neuen Testamentes.

Glauben und Lieben, was bedeutet das nun für uns? Glauben an Jesus Christus, das ist mehr als anerkennen, dass er der Sohn Gottes ist. Der Glaube an ihn bedeutet Hingabe an ihn, Ver- bundenheit mit ihm, Freundschaft mit ihm, Bekenntnis zu ihm, Einsatz für ihn, aber auch Treue zu seiner Kirche, Einsatz für sie und Bekenntnis zu ihr. Denn in der Kirche lebt Christus fort, die Kirche ist sein geheimnisvoller Leib, wie es der heilige Paulus ausdrückt, und ihre Seele ist der Heilige Geist. Glauben an Jesus Christus, das bedeutet, ihn und seine Kirche lie- ben. Diese Liebe muss ihre Gestalt finden im Gebet und darin, dass wir Christus  nachahmen in unserem Leben und dass wir uns einsetzen für ihn und für die Wahrheit, die er uns mitge- teilt, die er uns anvertraut hat.

Das bedeutet aber auch, dass wir Liebe zueinander haben. Die Liebe zu Christus ist die Vor- aussetzung für die Liebe, die wir zueinander haben sollen. Sie meint, dass wir alle Menschen achten, dass wir uns ihnen gegenüber gerecht verhalten, dass wir sie nicht übervorteilen, dass wir ihnen mit Aufrichtigkeit, Herzlichkeit und Fröhlichkeit begegnen. Sie meint, dass wir ihnen helfen, wo immer sie Hilfe brauchen, dass wir sie in Geduld ertragen, wo immer sie uns zur Last werden, dass wir ihnen Nachsicht schenken und ihnen vergeben, wo immer sie an uns schuldig geworden sind.

Auf eine kurze Formel geht es bei der hier gebotenen Liebe darum, dass wir in jedem Men- schen das Antlitz Christi erkennen, dass wir uns bemühen, in jedem Menschen Christus zu die- nen, besonders in den Menschen, die uns gefühlsmäßig fern stehen oder zu denen wir keiner- lei Sympathie haben, die uns vielleicht gar auf die Nerven gehen.

Nur wenn wir in Glaube und Liebe mit Christus verbunden sind, nur dann sind wir fruchtbare Rebzweige am Weinstock Christi, davon spricht das Evangelium heute. Der unfruchtbare Reb- zweig wird abgehauen, er verdorrt und wird ins Feuer geworfen, so stellt das Evangelium fest. Als unfruchtbare Rebzweige besiegeln wir unser Schicksal für Zeit und Ewigkeit. Bringen wir keine Frucht für die Ewigkeit, werden wir verworfen. Es geht hier um Sein und Nichtsein. Die- se Tatsache wird heute oft unterschlagen in der Verkündigung, gehört aber unbedingt zu ihrer Authentizität.

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Mühen wir uns um den Glauben und um die Liebe, so gehören wir schon jetzt zu Gott. Dann wird unser Leben heller, dann finden wir den Frieden des Herzens in dem Bewusstsein, dass Gott mit uns ist, dann wird unsere Welt menschlicher und menschenwürdiger. Nicht die Gottlo- sigkeit und der Unglaube humanisieren den Menschen und unsere Welt - im Gegenteil: Sie sind zerstörerisch -, sondern die konsequente Hinwendung zu Christus im Glauben und in der Liebe. Bemühen wir uns darum, dann beginnt schon hier durch uns das ewige Leben, das Gott uns verheißen hat. Amen.

 

PREDIGT ZUM 4. OSTERSONNTAG (3. SONNTAG NACH OSTERN), GEHALTEN AM
3. MAI 2009 IN FREIBURG, ST. MARTIN

„DER GUTE HIRT GIBT SEIN LEBEN HIN FÜR
SEINE SCHAFE“

An diesem Sonntag, dem Sonntag vom guten Hirten, begeht die Weltkirche den Gebetstag für geistliche Berufe, für Priester- und Ordensberufe. Das Gebet um geistliche Berufe ist umso ak- tueller als die Zahl dieser Berufe deutlich zurückgegangen ist und weiter zurückgeht. Das ist eine Tatsache, auch wenn die Statistiken immer wieder einmal eine augenblickliche Besse- rung oder gar überhaupt eine Besserung für die Zukunft behaupten oder erhoffen.

Die Gründe für diese Situation liegen auf der Hand. Es fehlt am Glauben bei vielen Gläubigen, aber auch bei vielen Hirten. Der Besuch der Sonntagsmesse liegt in den Städten bei 10 % mit abnehmender Tendenz. Das Beispiel, das viele Priester und Ordensleute geben, ist wenig überzeugend. Viele Priester haben ihre Identität verloren und wissen nicht mehr um die Schönheit ihres Berufes. Sie wissen nicht mehr, dass Priester in erster Linie geweiht werden, um in der heiligen Messe das Opfer Christi zu feiern: Die Feier der heiligen Messe ist die Mitte der priesterlichen Existenz. Wenn man das vergisst oder leugnet, dann lohnt es sich nicht mehr, Priester zu werden. Der Heilige Vater sagt und lebt das, aber allzu viele hören nicht auf ihn. Nicht wenige Ordensleute wissen nicht mehr um den Sinn der evangelischen Räte. So hat es jedenfalls den Anschein. Sie sind nicht mehr durchdrungen von dem inneren Reichtum des verborgenen Lebens mit Christus in Gott, wie es im Kolosserbrief heißt (Kol 3, 3).

Die Familien sind klein, und ihre Erziehungskraft ist gering geworden. In das so entstandene Vakuum strömt die Anti-Erziehung einer gottentfremdeten Öffentlichkeit, wenn man sich nicht dagegen abschirmt. Wo aber geschieht das? Da wird dann vor allem auch jene Haltung ver- mittelt, die man als Hedonismus bezeichnet hat, die gänzlich bestimmt ist, exzessiv, von der Faszination des Besitzes, der Macht und des Genusses.

Hinzukommt die Zerstrittenheit der Kirche und das Schwinden ihres Ansehens in der Öffent- lichkeit und nicht zuletzt, dass man innerkirchlich immer wieder aufs Neue die Ehelosigkeit der Priester problematisiert, das Ideal der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen, und überhaupt kein klares Priesterbild hat und dass die Orden vielfach der Zeit hinterherlaufen in der Hoffnung, auf diese Weise größere Akzeptanz zu fin- den.

Und wie sollte es noch Priester- und Ordensberufe geben, wenn man die Erziehung der Ju- gend zur Keuschheit vernachlässigt und tatenlos dem Zusammenbruch der Sexualmoral zu- schaut?

Erinnert sei hier auch an die Torheit, in der man zuweilen das Bemühen um Priester- und Or- densberufe ausgeweitet hat auf „Berufe der Kirche“. Durch Pastoralleute kann man keine Priester- und Ordensleute ersetzen. Und für diese braucht man nicht zu werben, zumindest nicht in einem Atemzug mit dem Bemühen um Priester- und Ordensleute. Geradezu verhäng- nisvoll ist es, wenn man dann noch unterschiedslos von Seelsorgerinnen und Seelsorgern spricht, wie es zuweilen geschieht. Warum sollte sich ein junger Mensch für den Priester- und Ordensberuf entscheiden, wenn so das geistliche Amt und das Ordensleben in gänzlich unzu- lässiger Weise nivelliert werden?

Das mangelhafte Nachdenken und die Inkonsequenz im Denken und im Handeln sind ein Unglück für die Kirche der Gegenwart. Nicht zuletzt dadurch wird der Exodus der Massen aus der Kirche verursacht.

Negativ wirkt es sich auch aus auf den Priester- und Ordensnachwuchs, dass die Theologie sich immer weiter von der Kirche entfernt, dass sie weithin die Distanzierung von der Kirche und, allgemeiner noch, von der religiösen Praxis als Qualitätssiegel versteht, als Qualitäts- siegel versteht und verkauft.

Ein sprechender Ausdruck dafür ist die Ablehnung der Priester- und der Ordenskleidung, spe- ziell bei den Betroffenen. Gerade in diesem Punkt denkt das gläubige Volk Gottes anders. Und die Fernstehenden und die Andersgläubigen, die ehrlich sind, haben zumindest Respekt davor.

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Damit ist auch schon gesagt, was anders werden muss, damit die Berufungen wieder erkannt werden und wieder wachsen können. Wir müssen beten um geistliche Berufungen. Das ist richtig. Aber dabei können wir es nicht bewenden lassen. Wir müssen tiefer ansetzen, wir alle müssen uns mit der Gnade Gottes um eine Erneuerung des Geistes bemühen, von Grund auf. - Wie aber sollen wir dabei zu Wege gehen?

Die Erneuerung des Geistes beginnt bei der Einsicht. Unser Problem ist, dass wir nicht mehr wissen, wer Gott ist, wer der ist, dem der Mensch sich hingibt, in dessen ausschließlichen Dienst er tritt im Priester- und Ordensstand. Gott ist der Gewaltige, der Große, das Geheimnis, das uns erschauern lässt, das uns erzittern macht und uns dennoch mit unwiderstehlicher Ge- walt an sich zieht. Das verstehen wir, wenn wir nicht dem Ungeist unserer Zeit nachlaufen. Kürzlich schrieb der Heilige Vater an die Bischöfe der katholischen Welt: „Das eigentliche Pro- blem unserer geschichtlichen Stunde ist es, dass Gott aus dem Horizont der Menschen ver- schwindet“ (Schreiben an die Bischöfe der katholischen Kirche vom 10. März 2009). Nicht sel- ten hat die Abwendung von Gott ihre Geschichte. Wenn wir heute mit Gott auf du und du sind, so ist er morgen nicht mehr für uns existent.

Gewiss, Gott ist die Liebe, aber nur für den, der ihn fürchtet. Fürchten und Lieben, das bedingt die stete Spannung des Verhältnisses des Menschen zu Gott. „Die Liebe vertreibt die Furcht“, sagt die Schrift (1 Joh 4, 18), aber das ist ein Vorgang, der sich stets wiederholen muss. Noch immer gilt das Psalmwort: „Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit“ (Ps 110, 10), übrigens ein Wort, das uns immer wieder im Alten Testament begegnet. Gott ist das unauslot- bare Geheimnis, vor dem wir verstummen und dem wir uns gänzlich unterwerfen müssen. Alle Macht kommt ihm zu, und sein sind die Zeiten. Er ist wie ein verzehrendes Feuer und gleich- zeitig wie ein strahlender Morgen in den Bergen, gewaltig und faszinierend. Er lässt einen einfach nicht mehr los, wenn man sich ihm gläubig hingibt. Das müssen wir alle uns klar ma- chen und daraus müssen wir leben.

So wenig, wie wir noch wissen, wer Gott ist, so wenig wissen wir, wer Christus ist, in dessen ausschließlichen Dienst der tritt, der die Berufung zum Priestertum und zum Ordensstand oder zu beidem annimmt.

Dieser Christus, er ist der Anfang und das Ende, er ist der, der die Schlüssel des Todes und der Unterwelt hat, wie es in der Geheimen Offenbarung heißt (Apk 1, 18). Er ist nicht nur ein exemplarischer Mensch für uns, der Mensch schlechthin, sondern der Mensch gewordene Gott. Er hat für uns den zeitlichen Tod auf sich genommen, in erster Linie für uns, nicht mit uns, um uns von dem ewigen Tod zu erretten. Er tat das aus Liebe zu uns und im Gehorsam gegenüber dem Vatergott. Unsere Antwort darauf kann nur dankbare Gegenliebe sein. Wahre Liebe kann nicht begrenzt werden. Immer ist da noch eine Steigerung möglich. Und im Grunde ist es so, dass die Liebe nur dann, wenn sie sich steigert, nicht erkaltet im Laufe der Zeit. Dazu aber muss man sich mit der geliebten Person oder mit der zu liebenden Person beschäftigen.

Die Liebe ist auf jeden Fall eine Quelle ungeahnter Kraft. Das gilt schon für die natürliche Lie- be, umso mehr für die übernatürliche. Was kann nicht alles der, dessen Liebe tief und weit ist?

Und noch ein dritter Gedanke sei hier angefügt: Die Zukunft Gottes steht gleichsam vor unserer Tür, sie ist uns viel näher, als wir in unserer Gedankenlosigkeit zu denken vermögen. Das ver- gessen wir allzu oft. In Psalm 90 heißt es: „Unsere Tage zu zählen lehre uns, dass ein weises Herz uns werde zuteil“ (Ps. 90, 12). Der Weg von der Zeit in die Ewigkeit ist sehr kurz. Schon im nächsten Augenblick kann die Zeit unseres Pilgerstandes vorüber sein. Dabei kann nur einer unsere Erwartungen erfüllen. Und er wird sie erfüllen, wenn wir uns nicht an die Welt und an die Menschen verlieren, wenn er die Mitte unseres Lebens ist und wenn er diese Mitte bleibt.

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Bei dem Anliegen der Priester- und Ordensberufe geht es immer um gute Hirten, um Hirten, die den guten Hirten Christus präsent machen, mehr oder weniger. Mehr gilt das für die Prie- ster, weniger für die Ordensleute, aber irgendwie gilt das für die einen wie für die anderen. Solche Hirten braucht unsere Welt heute mehr denn je, Hirten, denen nicht die Mentalität von Funktionären zu Eigen ist, die sich voll und ganz mit ihrem Auftrag identifizieren, die nicht davonlaufen, auch dann nicht, wenn der Wolf kommt, die Verzicht üben in ihrem Leben, um frei zu sein für die Menschen, die das leben, was sie verkünden, die uns Geborgenheit schen- ken in der Ungeborgenheit dieser Zeit, die uns zu wahren Freiheit führen, nicht zur Freiheit für das Böse, die im Grunde Versklavung bedeutet, sondern zur Freiheit für das Gute. Gute Hirten, das sind solche, die uns das dauernde Glück zeigen, die die Lüge entlarven, die die Illusionen zerstören, die uns die Augen öffnen für das einzig Notwendige und uns auf dem Pilgerweg des Lebens furchtlos vorangehen, die das Licht Gottes in die Dunkelheit der Zeit tragen, die uns stets aufs Neue ermuntern, das Gute zu tun, das allzu oft das Schwierigere ist, die uns durch ihre ganze Existenz warnen vor der Abwendung von Gott, die Selbstzerstörung bedeutet. Gute Hirten, das sind Menschen, die uns vorangehen gehen in Glaube, Hoffnung und Liebe, die die drei göttlichen Tugenden verkünden, die sie verkünden und leben. Amen.
 

PREDIGT ZUM 3. OSTERSONNTAG, GEHALTEN AM 26. APRIL 2009
IN FREIBURG, ST. MARTIN

 „DIE LIEBE ZU GOTT IST VOLLKOMMEN IN DEM,
DER DAS WORT GOTTES FESTHÄLT“

In der (zweiten) Lesung des heutigen Sonntags heißt es: „Die Liebe zu Gott ist vollkommen in dem, der das Wort Gottes festhält“ (1 Joh 2, 5). Gemeint sind hier mit dem Wort Gottes die Ge- bote Gottes. Die Lesung erinnert uns daran, dass der Glaube sich im Leben auswirken muss und dass er sich nur so als echt ausweist, dass wir uns als Christen der Erkenntnis Gottes rüh- men dürfen, dass diese Erkenntnis uns aber auf den Willen Gottes verpflichtet, wie er sich in seinen Geboten kundtut. Um es mit anderen Worten zu sagen: Es hilft nichts, wenn man in der christlichen Lehre Bescheid weiß, aber nicht nach ihr lebt. Der Glaube wird zum Ärgernis, wo immer er nicht zur Grundlage des Lebens wird. Erst dann, wenn das Erkennen Gottes zur Liebe wird, erkennen wir Gott wirklich in ihm. Immer wieder muss das Erkennen Gottes uns zur Liebe zu Gott führen, dann führt die Liebe zu Gott uns immer wieder hin zu diesem Erkennen.

Gott erkennen, heißt in der Sprache der Bibel Gott lieben, und Gott lieben heißt in ihr ihn er- kennen. Wir werden vielleicht sagen: Liebe macht blind. Das ist richtig, aber das gilt nur von jener Liebe, die allein auf Gefühlen aufbaut, sofern diese unbeständig sind, unberechenbar und wechselhaft. Anders ist das bei der Liebe, die in der Erkenntnis wurzelt.

„Wer sagt: Ich habe Gott erkannt, und seine Gebote nicht hält, der ist ein Lügner“. So drückt es die Lesung aus. Wer sich nur der Erkenntnis Gottes rühmt, der ist unwahrhaftig, weil diese Erkenntnis sein Leben nicht bestimmt. Wer aber nach ihr lebt, in dem ist die Liebe zu Gott vollendet (1 Joh 2, 5).

Lieben bedeutet handeln, nicht nur reden, reden auch, aber nicht, ohne zu handeln. Viele re- den heute gescheit über Gott, über den Glauben und über die Kirche, mehr oder weniger gescheit, oft auch nur dem Anschein nach, sie verdienen vielleicht sogar ihr Geld mit der Kir- che, stehen dabei aber Gott, dem Glauben und der Kirche fern und leben nicht in der Gemein- schaft mit dem dreifaltigen Gott, mit dem auferstandenen Christus und mit der Kirche, die sein mystischer Leib ist. Sie reden, aber sie handeln nicht.

Auf die Liebe kommt es an, immer und überall. Sie ist nach der Lehre des Neuen Testamen- tes, ja, irgendwie schon des Alten Testamentes, und nach der steten Lehre der Kirche das Hauptgebot, jenes Gebot, das alle anderen Gebote enthält, die Liebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten. Mit Gott ist hier nicht die Idee Gott gemeint, sondern der konkrete Gott, der Gott der Offenbarung, und mit dem Nächsten ist hier der gemeint, der uns räumlich am nächsten ist, näher als alle anderen. Ihn, den Nächsten, zu lieben, das ist schwerer, als die Fernen zu lieben, mit denen man nur wenig oder gar nichts zu tun hat.

„Die Liebe ist das Band der Vollkommenheit“. So heißt es im Kolosserbrief (Kol 3, 14). Sie „ist die Erfüllung des Gesetzes“. So sagt es der Römerbrief (Rö 13, 10).

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Gern zitiert man heute in diesem Kontext das bekannte Wort des heiligen Augustinus „liebe und tu dann, was du willst“ (In Epistulam Joannis ad Parthos VII, 8). Oftmals versteht man dieses dann im Sinne einer gestaltlosen Liebe, die rein subjektiv gedeutet wird, nivelliert man dabei alle Glaubenswahrheiten und alle sich daraus ergebenden Normen und redet man einem rein subjektiven Glauben und einer ebenso rein willkürlichen Moral das Wort, einem Christentum der Beliebigkeit. So hat der heilige Augustinus das Wort jedoch nicht gemeint. Er sagt es klar, dass die christliche Liebe niemals den Glauben und die Moral der Kirche aus- klammern und sich auf ein diffuses Gewissen berufen kann. Unmissverständlich erklärt er, dass das Fundament der Liebe der Glaube ist und dass die Liebe, die hier gemeint ist, die Ge- bote, die sich daraus ergeben, gleichsam zusammenfasst (Homiliae in I Epistulam Johannis 7, 10). - Ohne den Glauben würde das Hauptgebot der Gottes- und Nächstenliebe schon seine Be- gründung verlieren, weil es dann einfach in der Luft hängen würde.

Der erste Bezugspunkt der Liebe, die hier gemeint ist, ist der dreifaltige Gott, der sich uns in Christus geoffenbart hat. Der zweite Bezugspunkt dieser Liebe ist dann das Werk des dreifal- tigen Gottes, im Einzelnen die Schöpfungsordnung und die Heils- und Erlösungsordnung, also alles, was Gott geschaffen und was er zu unserem Heil getan hat. Die Schöpfungsordnung hat ihren Höhepunkt in der Erschaffung des Menschen, die Heils- und Erlösungsordnung hat ihn im Geheimnis der Menschwerdung Gottes und im Geheimnis des Kreuzes. Darum muss die Liebe zu Gott ihre Gestalt finden in der Liebe zu den Menschen und in der Liebe zu dem Erlöser der Menschheit.

Allen Menschen muss unsere Liebe gehören, wie Gott allen Menschen seine Liebe geschenkt hat und schenkt. Diese unsere Liebe muss sich aber in der Nächstenliebe bewähren. Die Liebe zu Gott verlangt von uns, dass wir um seinetwillen alle Menschen lieben, die Fernen und die Nahen, dass wir um seinetwillen auch die Unsympathischen lieben und die, die uns Schaden zufügen, das heißt, dass wir Geduld mit ihnen haben, dass wir uns nicht über sie erheben, dass wir ihnen verzeihen und dass wir ihnen gut sind, im Rahmen des Möglichen.

Unsere Liebe zu dem Erlöser muss sich darin erweisen, dass wir seinen Willen erfüllen und sein Beispiel nachahmen und dass wir ihm nachfolgen auf seinem Kreuzweg. Christus lieben, das bedeutet, dass wir gegebenenfalls Schmach erleiden für ihn und dass wir bereit sind, um seines Namens willen Hass und Demütigungen zu ertragen. Endlich verlangt die Christusliebe von uns, dass wir die Kirche lieben, weil sie der fortlebende Christus ist, weil durch sie Chri- stus in unserer Mitte ist, dass wir die Kirche lieben trotz ihrer Menschlichkeiten, trotz ihrer Schwächen und Unzulänglichkeiten, dass wir ihre Schwächen und Unzulänglichkeiten nicht mit ihrem Wesen verwechseln.

Lieben können wir nicht, wenn bei uns selber bleiben, wenn wir uns nicht selber vergessen, wenn wir nicht bereit sind, unser Leben zu verlieren, um es in Wahrheit zu gewinnen, wie es die Heilige Schrift sagt (Mt 10, 39 u. ö.). Die Liebe hat einen unerbittlichen Feind, das ist der Egoismus. Wir tun uns schwer in der Liebe, weil wir so oft auf uns selbst fixiert sind, weil wir so oft um unser eigenes Leben kreisen, bei uns selber bleiben und uns selbst in den Mittel- punkt rücken möchten, weil wir allzu sehr in uns selbst verliebt sind. Das macht uns nicht nur jene Liebe schwer, die mit dem Hauptgebot der Gottes- und Nächstenliebe gemeint ist, jene übernatürliche Liebe, von der im Evangelium die Rede ist, das macht uns auch die natürliche Liebe schwer, die Liebe zum Ehepartner, zu den Kindern, zu den Eltern und überhaupt zu den Menschen, mit denen wir zusammen sind im Alltag. - Die Liebe setzt die Selbstlosigkeit vor- aus, in jedweder Gestalt, und immer muss sie zu Taten führen.

Die Gottesliebe und die Nächstenliebe gehören zusammen. Wer die Menschen nicht lieben kann, der kann auch Gott nicht lieben. Und wer Gott nicht lieben kann, der kann auch die Menschen nicht lieben. Das lehrt uns die Geschichte, vielleicht auch ein wenig die Geschichte unseres eigenen Lebens, wenn wir in sie hineinschauen.

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Eine bedeutsame Prophezeiung für die Endzeit lautet: „Die Liebe vieler wird erkalten“ (Mt 24, 12). So sagt es Christus in den eschatologischen Reden des Matthäus-Evangeliums voraus. Er spricht da von weiteren Vorzeichen, damit wir uns recht vorbereiten. Die Endzeit ist schon da, seit der Auferstehung Jesu. Aber heute scheint sie noch näher herangerückt zu sein, denn mit dem Erkalten der Liebe bei vielen erkennen wir in der Gegenwart weitere Vorzeichen, vor allem in der allgemeinen Verwirrung im Glauben, in dem globalen Abfall von dem Gott der Offenbarung und in der wachsenden Anarchie in unserer Welt. Wir dürfen dabei allerdings nicht vergessen, dass vor Gott 1000 Jahre wie ein einziger Tag sind (2 Petr 3, 8).

Wenn wir uns in unserer gebrochenen Welt um die Liebe mühen, um die Gottes- und Näch- stenliebe im Kontext der Glaubens und im Leben mit der Kirche, dann finden wir das Leben, das wahre Leben. Immer wirkt die Liebe das Leben, und immer wirkt der Hass den Tod. Amen.

 

PREDIGT ZUM WEISSENSONNTAG, GEHALTEN AM 19. APRIL 2009
IN FREIBURG, ST. MARTIN,

„EMPFANGET DEN HEILIGEN GEIST“

Das Thema der Sünde verbindet die (zweite) Lesung des heutigen Sonntags mit dem Evan- gelium: In der Sünde verweigern wir Gott die Liebe, denn Gott lieben, das heißt, seine Ge- bote erfüllen. Und wenn wir gesündigt haben, finden wir im Sakrament der Buße die Verge- bung.

Früher war in der Predigt sehr häufig die Rede von der Sünde, vielleicht manchmal zu häu- fig, heute ist eher das Gegenteil der Fall. Aber kann man überhaupt zu viel von der Sünde reden? - Immerhin war die Sünde das Hauptthema in der Verkündigung Jesu. Ja, schon im Alten Testament war sie eines der Hauptthemen, speziell bei den Propheten.

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„Die Sünde ist ein Verstoß gegen die Vernunft, die Wahrheit und das rechte Gewissen, sie ist eine Verfehlung gegen die wahre Liebe zu Gott und zum Nächsten“, so sagt es der Weltka- techismus (Nr. 1849). Der heilige Augustinus (+ 430) definiert die Sünde als „ein Wort, eine Tat oder ein Begehren im Widerspruch zum ewigen Gesetz“ (Contra Faustum Manichaeum, lib. 22, c. 27). In jedem Fall ist die Sünde eine Beleidigung Gottes, da sie sich auflehnt gegen die Liebe Gottes zu uns und unsere Herzen von ihm abwendet. Der Auflehnung gegen Gott oder dem Ungehorsam gegenüber Gott, wie er Gestalt annimmt in der Sünde, liegt stets der Stolz zugrunde, der Hochmut, das „ich will nicht dienen“. In der Sünde tritt unsere Selbst- liebe in Konkurrenz zur Gottesliebe und tritt im Grunde an die Stelle der Hochachtung vor Gott die Verachtung Gottes. Darauf hat schon der heilige Augustinus vor mehr als 1500 Jah- ren aufmerksam gemacht (De civitate Dei, lib. 14, c. 28). In ihrem tiefsten Wesen ist die Sün- de Ungehorsam gegen Gott, deshalb ist es immer der Gehorsam des Erlösers, der uns die Vergebung erwirkt.

Handelt es sich bei unserer Auflehnung gegen Gott um eine wichtige Sache und entscheiden wir uns mit Einsicht und Freiheit gegen ein Gebot Gottes, zerstört die Sünde die Taufgnade, unsere Gotteskindschaft, die heiligmachende Gnade. Wir sprechen dann von einer schweren Sünde oder auch von einer Todsünde. Fehlt eines dieser drei Momente, so ist die Sünde eine lässliche, es sei denn, es ist überhaupt keine Einsicht in den Sachverhalt vorhanden oder überhaupt keine Freiheit gegeben. Wenn es so ist, dann kann auch von Sünde nicht mehr die Rede sein. Denn für das, was wir nicht erkannt oder nicht gewollt haben, dafür sind wir nicht verantwortlich

In der Gestalt der lässlichen Sünde verfolgt uns die Sünde fortwährend. Das ist unsere Situ- ation, weil wir die Folgen der Erbsünde tragen und zu tragen haben, auch wenn wir von ihr erlöst sind. Verschließen wir die Augen vor dieser Wirklichkeit, betrügen wir uns selbst und zerstören unser religiöses Leben von Grund auf, von der Wurzel her. Dann wird aus unserem Christentum ein abgestandener Pharisäismus oder gar nur ein rein äußeres Lippenbekennt- nis, das uns nicht mehr bewegt, das ohne Substanz ist.

Im ersten Johannesbrief, dem auch die (zweite) Lesung dieser heiligen Messe entnommen ist, heißt es: „Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, führen wir uns selbst in die Irre, und die Wahrheit ist nicht in uns. Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist er (Gott) treu und gerecht; er vergibt uns die Sünden und reinigt uns von allem Unrecht“ (1 Joh 1, 8 f). Schon im Alten Testament heißt es im Buch der Sprüche: „Selbst der Gerechte fällt siebenmal am Tage“ (Spr 24, 16).

Vielleicht liegt hier eines der Kernübel unserer Zeit, und vielleicht ist das die Ursache für die Unwirksamkeit des Christentums in der heutigen Welt und in unserem Leben, dass viele nicht einmal mehr ihre Sünden und ihre Sündhaftigkeit zur Kenntnis nehmen.

Würden wir uns alle mehr beschäftigen mit unseren Sünden und mit unserer Sündhaftigkeit, würden wir uns auch mehr mit der Versöhnung beschäftigen. Dann aber würde der Wille Gottes besser zum Tragen kommen in unserer Welt und in unserem Leben, als es heute im Allgemeinen geschieht.

Es ist hier wie in einer Ehe, in der die Liebe und ihre Verwundungen kein Thema mehr sind. Da ist die Ehe eigentlich zerbrochen, da vegetiert sie nur noch dahin.

Vielfältig sind die Sünden, die wir begehen. In der Heiligen Schrift begegnen uns wieder- holt ganze Sündenregister, Sünden, die wir begehen können und die oft begangen werden. Der Galaterbrief setzt der Frucht des Geistes in diesem Zusammenhang die Werke des Flei- sches entgegen, wenn er feststellt: „Die Werke des Fleisches sind deutlich erkennbar: Un- zucht, Unsittlichkeit, ausschweifendes Leben, Götzendienst, Zauberei, Feindschaften, Streit, Eifersucht, Jähzorn, Eigennutz, Spaltungen, Parteiungen, Neid und Missgunst, Trink- und Ess- gelage und Ähnliches mehr“ (Gal 5, 19 - 21). Es handelt sich hier nicht in jedem Fall um schwere Verfehlungen, aber sie können es werden, wenn sie ihrer Qualität nach zu einer wichtigen Sache werden und wenn sie mit der nötigen Einsicht und Freiheit begangen wer- den.

Würden unsere Sünden uns mehr beunruhigen, würden wir uns mehr dem Bußsakrament zuwenden, dem Sakrament der Versöhnung. Von der Einsetzung dieses Sakramentes ist im Evangelium des heutigen Sonntags die Rede. Das Evangelium weist uns darauf hin, dass es das Geschenk des Auferstandenen an seine Kirche ist.

Notwendig ist der Empfang dieses Sakramentes, wenn wir schwer gesündigt haben, aber auch dann, wenn wir nur lässliche Sünden begangen haben, ist der Empfang dieses Sakra- mentes unumgänglich, wenn wir bewusst den Weg der Nachfolge Christi gehen und gehen wollen, wie es unserer Berufung entspricht, unumgänglich deshalb, weil das Bußsakrament der normale Weg unserer Heiligung ist.

Wer das Bußsakrament nicht mehr empfängt, der kann eigentlich auch nicht mehr das eucharistische Sakrament empfangen. Wenn das heute dennoch oftmals geschieht und wenn dazu gar ermuntert wird, ist das ein Missbrauch, dem letztlich der Verlust des Glau- bens an das zentrale Geheimnis der Kirche zugrundeliegt, an das eucharistische Geheim- nis. Die zwei Sakramente gehören irgendwie zusammen.

Im Sakrament der Buße verdemütigen wir uns, werden wir immer wieder daran erinnert, dass wir fortwährend streben müssen und dass der Weg schmal ist, der uns zum Leben führt. In diesem Sakrament klagen wir uns selber an und empfangen wir die Vergebung von Gott um des Sterbens und der Auferstehung Jesu willen und finden wir somit auf eminente Weise Unterstützung auf unserem Weg zu Gott.

Wir können dieses Sakrament immer nur individuell empfangen. Auch das dürfen wir nicht übersehen. Niemals hat die Kirche Sakramente in cumulo gespendet. Zudem hat Gott uns dieses Sakrament in der Form des Gerichtes geschenkt, in der Form eines Gnadengerich- tes. Darin ist bereits die Notwendigkeit des individuellen Empfangs dieses Sakramentes ein- geschlossen. Ein Gericht kann nicht gleichzeitig über eine Mehrzahl von Personen ergehen, immer setzt es eine individuelle Anklage voraus und hat es ein individuelles Urteil zur Folge.

Charakteristisch ist es für das Sakrament der Buße, dass in ihm die Anklage stets die Gestalt einer Selbstanklage hat. Klagen wir uns nicht selber an im Bußgericht, heute und morgen, so wird Gott uns einmal anklagen im letzten Gericht. Niemand wird ihm entgehen. In ihm werden wir einen gnädigen Richter finden, wenn wir das Sakrament der Buße im Leben lie- ben gelernt haben, wenn wir uns durch unsere Sünden haben beunruhigen lassen in diesem Leben und wenn wir immerfort den Weg der Buße und der Besserung des Lebens gegangen sind.

Das Sakrament der Buße ist ein Sakrament der Barmherzigkeit. Deshalb steht es in einer be- sonderen Beziehung zum heutigen Sonntag, den wir als den Sonntag der göttlichen Barm- herzigkeit begehen. Die Barmherzigkeit Gottes können wir aber nur dann erlangen, das be- denken wir oft nicht, wenn wir umkehren, wenn wir uns bekehren. Gott zwingt uns seine Barmherzigkeit nicht auf.

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Die Sünde ist eine zentrale Wirklichkeit nicht nur in der Botschaft des Christentums als sol- cher, sie ist es auch, ja, sie muss es auch sein im Leben eines jeden Gläubigen. Im Chri- stentum geht es wesentlich um die Sünde und um die Erlösung. Bei der Ankündigung der Menschwerdung Gottes heißt es im Matthäus-Evangelium: „… denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen“ (Mt 1, 21). Und die Eucharistie beschreibt der Erlöser mit den Wor- ten: „Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden“ (Mt 26, 28).

Die Sünde begleitet unser Leben, wenn nicht in der Gestalt der schweren Sünde, so doch in der Gestalt der lässlichen Sünde. Wenn wir davor die Augen verschließen, versandet unser religiöses Leben.

Das Bußsakrament, das Ostergeschenk des auferstandenen Christus an seine Kirche, muss einen festen Platz haben in unserem Leben. Nur wenn das gegeben ist, können wir den Weg der vollkommenen Gottes- und Nächstenliebe in rechter Weise gehen, zu dem Gott uns, einen jeden von uns, berufen hat. Das Gnadengericht des Bußsakramentes bewahrt uns vor einem gnadenlosen Gericht am Ende. Amen.

 

 

PREDIGT ZUM OSTERMONTAG, GEHALTEN AM 13. APRIL 2009 IN
FREIBURG, ST. MARTIN

„IHRE AUGEN ABER WAREN GEHALTEN“

Sie erkannten ihn nicht, die Jünger Jesu, ihre Augen waren gehalten. So berichtet das Evan- gelium des heutigen Festtags. Als sie ihn aber erkannten, da beteten sie: Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden. Christus, der Auferstandene war bei ihnen, und sie wuss- ten es nicht, als ihnen diese Wirklichkeit jedoch bewusst wurde, da bestürmten sie ihn, doch wenigstens noch einige Stunden bei ihnen zu bleiben.

Diese Begebenheit des Osterabends wiederholt sich immer wieder in der Geschichte der Kir- che und auch in unserem individuellen Leben: Wir wähnen uns verlassen, aber Christus ist bei uns. Und wenn uns das zum Bewusstsein kommt, bestürmen wir ihn: Bleibe bei uns, denn es will Abend werden.

Solche Erfahrungen werden uns zuweilen geschenkt, im Glauben wissen wir jedoch, dass der Auferstandene immer da ist, ob wir daran denken oder nicht, sofern wir seine Jünger sind, dass seine Gegenwart unabhängig ist von unserem Bewusstsein. Einst hatte er seinen Jüngern am Ende der Ostererscheinungen, die begrenzt waren, gesagt: „Ich bin bei euch alle Tage“ (Mt 28, 20).

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Unsere Situation unterscheidet sich von jener der ersten Jünger grundlegend, und zwar da- durch, dass wir Christus nicht mit unseren irdischen Augen sehen. Die ersten Jünger hatten vor seinem Tod Umgang mit ihm gepflegt, und nach seinem Tod war er ihnen sichtbar er- schienen, damit sie es wussten und der Welt bezeugen konnten, dass er den Tod überwun- den hatte, damit sie und wir alle fortan unsere Hoffnung auf ihn setzen könnten in der Not der Sünde, in all unseren Leiden und in unserem Sterben. Die ersten Jünger haben ihren Meister nach seiner Auferstehung aber auch nur einmal oder nur wenige Male mit ihren irdi- schen Augen gesehen, dann konnten sie ihn nur mehr mit den Augen des Glaubens sehen. Das war ihnen bewusst, denn bei seiner letzten Begegnung mit ihnen auf dem Berg in Gali- läa hatte er ihnen gesagt: „Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt“ (Mt 28, 20). Damals hatte er ihnen den großen Missionsbefehl erteilt, wie wir zu sagen pflegen.

Im Glauben wussten sie, und durch sie wissen wir es im Glauben: Der Herr ist bei uns, in seiner Kirche, in den Sakramenten, in unseren Gebeten, und er ist bei uns, wenn wir ihm nachfolgen, dass heißt, wenn wir ihn nachahmen in unserem Leben, indem wir sein Leben zur Norm unseres Lebens machen. Sein Wort gilt, er ist da, auch wenn uns unsere Erfahrung verlässt, auch wenn wir uns verlassen vorkommen: Der Auferstandene gehört einer anderen Welt an, und doch bleibt er bei uns. Weil er aber jener anderen Welt angehört, die wir das Jenseits nennen, jener anderen Welt, zu der hin wir unterwegs sind, deshalb gibt es für uns nur die Begegnung mit ihm in der Weise des Glaubens.

Er könnte auch uns, den späteren Generationen, sichtbar erscheinen, möglicherweise ist das auch wiederholt geschehen in der Geschichte der Kirche, etwa im Leben der Heiligen, aber das war dann jeweils ein besonderes Wunder. Wunder in diesem Sinne sind aber außerge- wöhnliche Ereignisse.

Christus, der Auferstandene, ist bei uns, in dieser Welt - auch wenn wir ihn nicht sehen und wenn unsere Augen gehalten sind, auch wenn wir in extrem schwierigen Verhältnissen le- ben oder wenn wir übermäßig traurig sind oder gar verzweifeln möchten. Und er pocht dann immer wieder einmal leise an die Tür unseres Herzens, wenn er uns im Gewissen anspricht. Zuweilen vermeinen wir dabei seine Nähe handgreiflich zu spüren, im Leid, in der Freude, in der Angst oder in den Sorgen des Alltags, wenngleich solchen lichten Momenten dann bald wieder extreme Dunkelheit folgen mag. Solche Stunden dürfen wir dankbar registrie- ren, aber auf Erfahrungen dieser Art kommt es nicht an. Worauf es ankommt, das ist, dass wir dem Wort Jesu, des Auferstandenen, „ich bin bei euch alle Tage“, das seine unmittel- baren Zeugen uns übermittelt haben, Glauben schenken.

Er ist auch dann bei uns, wenn wir vergeblich nach ihm Ausschau halten. Dann gilt es, dass wir uns im Glauben bewähren. Er verlässt uns nicht, aber wir können ihn verlassen, und wir tun es allzu gern. Er ist treu, solange nicht wir ihm untreu werden. Das aber ist das Problem: Unsere Treue.

Viele gehen ihre eigenen Wege. Sie suchen die Erfüllung ihres Lebens ohne Christus und seine heilige Kirche. Wir können den Auferstandenen verlassen, weil er nur mit den Augen des Glaubens gesehen werden kann. Aber dieser Glaube ist schicksalhaft für uns. Das will sagen: Wir zerstören unser zeitliches und unser ewiges Leben, wenn wir an dem auferstan- denen Christus vorübergehen, wenn wir gleichgültig sind gegenüber ihm und seiner Kirche, wenn wir der Weltanschauung der Massenmedien huldigen und der Weltanschauung derer, die den Ton angeben bei uns. Es ist verhängnisvoll für uns, wenn wir gedankenlos durch das Leben stolpern und den falschen Propheten huldigen.

Nicht Christus verlässt uns, aber wir verlassen ihn, allzu oft. Von daher ist es zutiefst ange- messen, dass wir nicht aufhören, ihn zu bitten: „Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden”. Das heißt nämlich: Schenk uns die Gnade, dass wir bei dir bleiben, dass wir dich nicht verlassen, dass wir uns nicht einer unchristlichen und religionslosen Welt anpassen und ihr nicht ins Netz gehen. Ja, dieses Ostergebet sollte uns das Jahr hindurch begleiten. In besonderer Weise eignet es sich in der heiligen Messe nach dem Empfang der heiligen Kommunion.

„Denn es will Abend werden“, immer geht unser Leben dem Abend zu, denn unser Leben ist kurz, wenn es auch noch so viele Jahre währt, und das Ende kommt schneller, als wir es ver- muten. Wenn der auferstandene Christus bei uns ist, brauchen wir den Abend unseres Le- bens nicht zu fürchten.

„Es will Abend werden“, das gilt aber noch mehr für die Gegenwart, für die Zeit, in der wir leben, die eine Zeit der religiösen und der moralischen und der politischen Auszehrung ist, eine Zeit, in der die Probleme so zahlreich werden, dass einem schwindelig werden kann, wenn man daran denkt, sofern Lüge und Grausamkeit und Verzweiflung und oft auch Un- erleuchtetheit und Ignoranz uns zu übermannen drohen und, allgemein gesprochen, die Fundamente immer brüchiger werden. Aber wenn er, der Auferstandene bei uns ist oder be- sser, wenn wir ihn nicht verlassen, dann verlieren wir in den Dunkelheiten dieser Zeit nicht die Orientierung, dann können sie uns nicht zum Verhängnis werden.

Er ist da, sichtbar für die Augen des Glaubens, er verlässt uns nicht, doch wir können ihn ver- lassen. Dann sind wir allerdings allein. Hier gilt das Wort des Alten Testamentes „weh dem, der allein“ (Pred 4, 10) mehr noch, als wenn wir es auf Menschen beziehen.

Wenn wir nicht von ihm lassen, finden wir den Weg auch in der dunkelsten Nacht, während ohne ihn alles chaotisch ist, was man indessen oftmals erst sehr spät erkennt, manchmal zu spät.

Wissen wir im konsequenten Glauben um die Gegenwart des Auferstandenen, dann mag es Unverständliches geben in unserem Leben, Leid und Enttäuschung, aber wir sind dann nicht allein damit, mit uns ist dann der, der gesagt hat: „Seid getrost, ich habe die Welt über- wunden“, so heißt es in den Abschiedsreden Jesu im Johannes-Evangelium (Joh 16, 33). Amen.

 
PREDIGT ZUM HOCHHEILIGEN OSTERFEST, GEHALTEN AM 12. APRIL 2009
IN SCHAUENBERG / ELSASS

 „SUCHET, WAS DROBEN IST“

Mit der Auferstehung des Gekreuzigten von Golgotha hat die Kirche begonnen. Die Aufer- stehung des Gekreuzigten ist das Zentrum der christlichen Verkündigung. Am Anfang der christlichen Verkündigung steht das leere Grab und stehen die Erscheinungen des Auferstan- denen. Gänzlich überwältigt von der Auferstehung des Herrn trat die junge Christengemein- de von Jerusalem zusammen, sammelte sich die zerstreute Jüngerschaft Jesu erneut nach seiner Kreuzigung. Aus dem Osterglauben ist die Kirche entstanden, aus jenen Geschehni- ssen, die zum Osterglauben geführt haben. Es gäbe kein Evangelium, kein Neues Testament, keinen Glauben, keine Kirche, keine Feier der heiligen Messe und keine Sakramente ohne die Botschaft von der Auferstehung Jesu. Der Prophet von Nazareth wäre der Vergessenheit anheimgefallen, weithin. Er wäre nicht mehr und nicht weniger gewesen als einer der zahl- reichen jüdischen Propheten, deren Letzter einst Johannes der Täufer gewesen war.

Mit der Auferstehung Jesu hebt die christliche Predigt an, und die Auferstehung Jesu ist der entscheidende Inhalt dieser Predigt, weshalb sie stets die Mitte der Verkündigung der Kirche sein muss und weshalb sie auch Grundlage und Fundament unseres persönlichen Glaubens sein muss.

Der Apostel Paulus schreibt an die Korinther: „Wenn Christus nicht auferstanden ist, dann ist nichtig unsere Predigt, nichtig euer Glaube“ (1 Kor 15, 14). Wäre Christus nicht auferstanden, dann könnten wir die Kirchen schließen. Wenn Christus nicht auferstanden wäre, dann wären wir die größten Toren gewesen, so fährt der Apostel Paulus in dem nämlichen Brief fort.

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Was bedeutet das nun, wenn wir bekennen: Jesus ist auferstanden? Das heißt nicht: Seine Sache geht weiter. Die Auferstehung Jesu ist ein Geschehen. Es geht hier nicht um eine Sa- che, um die Sache einer Person, sondern um eine Person als solche. Hier kehrt ein Toter in das Leben zurück. Er kehrt aber nicht einfach in dieses unser sterbliches Leben zurück. Der Auferstandene ist den Daseinsbedingungen dieser Welt enthoben, er tritt ein in die Welt Gottes, das tut er mit seiner ganzen Existenz, mit Leib und Seele, mit seiner Gottheit und mit seiner Menschheit. Alle Ewigkeit hindurch bleibt er der menschgewordene Gottessohn.

Auferstehung bedeutet nicht einfach Rückkehr der Seele in den toten Leib, das bedeutet sie auch, klar, aber sie bedeutet noch mehr, sie bedeutet zugleich die Aufnahme des ganzen Menschen in die Herrlichkeit Gottes, Erhöhung, Verklärung. Der Auferstandene sitzt zur Rechten des Vaters. Wenn die ersten Christen bekannten: „Jesus Christus ist der Herr (der Kyrios)“, brachten sie damit das unbegreifliche Geheimnis seiner Auferstehung zum Aus- druck.

Für uns bedeutet die Auferstehung Jesu ewiges Leben. So sagt es der Römerbrief: „Wenn du mit dem Munde Jesus als den Herrn bekennst und in deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat, dann wirst du das Heil erlangen“ (Röm 10, 9), das Heil aber, das ist letztlich das ewige Leben bei Gott. Umgekehrt bedeutet die Feststellung des Römer- briefes: Wenn wir das Geheimnis der Auferstehung nicht mit dem Munde bekennen und mit dem Herzen glauben, dann finden wir das Unheil.

In unserer erfahrbaren Geschichte hat der Tod das Regiment. Er ist gleichsam allgegenwär- tig. Auch wenn wir gern vor ihm die Augen verschließen. Er ist unser dunkler Gefährte auf all unseren Wegen. Er ist das Ende für jeden Menschen. Unsere Geschichte ist eine Ge- schichte des Todes im wahrsten Sinne des Wortes. Diese Geschichte des Todes aber stellt Jesu Auferstehung von Grund auf in Frage. In der Auferstehung Jesu und in der allgemeinen Auferstehung, die wir im Credo bekennen, begegnet uns, wie es im Römerbrief heißt, die schöpferische Freiheit Gottes, die das Nichtseiende ins Dasein ruft, die das Unmögliche mög- lich macht (Röm 4, 17).

Somit ist die Unausweichlichkeit unserer Todesgeschichte durchbrochen. Mit Christi Aufer- stehung beginnt die Neuschöpfung der Welt. Sie bezeugt uns, dass Gottes Liebe stärker ist als der Tod, stärker als das Unrecht, als der Hass und als die brutale Gewalt der Menschen. Gottes Zukunft hat somit in unserer Gegenwart Gestalt angenommen. Eine selige Zukunft hat begonnen für uns, wenn wir glauben, dass der Gekreuzigte lebt. Er, Christus, ist der Erstling der Entschlafenen. Im Anschluss an diesen Gedanken weist das Zweite Vatikanische Konzil darauf hin, dass das Ende der Zeiten bereits zu uns gekommen und die Erneuerung der Welt unwiderruflich begründet und in dieser Weltzeit in gewisser Weise schon vorausgenommen ist (Lumen gentium, 48).

Christi Auferstehung ist die die Vorwegnahme der Zukunft Gottes, und in ihr hat die Verklä- rung der Welt schon begonnen. Von daher ist mit der Auferstehung Jesu das unsterbliche Leben in dieses unser vom Tod gezeichnetes Leben eingebrochen.

Der fromme Philosoph Sören Kierkegard (+ 1855) schreibt von daher: „Es muss alles gut wer- den, weil Christus auferstanden ist“. Wir müssen es genauer sagen: Wenn wir in Christus sind, dann wird es ein gutes Ende nehmen mit uns. Ohne ihn wird es nicht gut werden. Das ist die andere Seite, die wir nicht verschweigen dürfen heute, da man eine Welt bauen will nicht nur ohne den auferstandenen Christus, sondern gar auch ohne Gott, was noch weit ver- hängnisvoller ist. Damit ist aber auch gesagt, dass nicht das Böse letztlich siegen wird, dass nicht die Lüge und der Hass, das Unrecht und die Grausamkeit und die Unmenschlichkeit das letzte Wort haben werden, so sehr sie es in unserer Gegenwart haben, das kann man nicht leugnen, sondern das Gute. Für jene, die nicht auf die Götzen dieser Welt setzen, sondern Christus nachfolgen, ist der Tod der Anfang des wahren Lebens. Das heißt andererseits: Für den, der dem lebendigen Christus nicht folgt, ist diese unsere Welt eine Welt zum Tode. Ist er ehrlich und konsequent, so bleibt ihm letztlich nur die Verzweiflung. Tatsächlich retten sich die Ungläubigen vor ihr, indem sie sich etwas vormachen oder indem sie nicht bis zu Ende denken. Allein für den, der dem Auferstandenen folgt, ist diese unsere Welt eine Welt zum Leben. Das ist die Wahrheit.

„Er wird euch vorausgehen nach Galiläa“ heißt es in der Osterbotschaft der jungen Christen- heit. Aus unserer Perspektive würden wir sagen: Er ist uns vorausgegangen in das Galiläa der neuen, der jenseitigen Welt.

Darin gründet unsere Hoffnung. Das ist der entscheidende Impuls in unserem Leben, sofern wir Christen sind. Er sollte es sein.

Das Osterfest schenkt uns, wenn wir einen starken Glauben haben, Hoffnung und Frohsinn. Frohsinn, damit ist nicht die laute Freude der Welt gemeint, sondern die Heiterkeit der See- le,  jene stille Freude, die uns der Ostersieg des Gekreuzigten von Golgotha schenkt, weil in ihm jene neue Welt ihren Anfang genommen hat, in der alle Negativität dieser unserer Welt ein Ende gefunden hat.

Beten wir um den rechten Osterglauben, um die diesem entsprechende unbezwingbare Osterhoffnung und um die daraus hervorgehende unzerstörbare Osterfreude! Das eine wie das andere ist letztlich ein Geschenk der Gnade, für das wir uns allerdings immer neu berei- ten müssen.

Vergessen wir dabei nicht: Der auferstandene Gekreuzigte ist uns vorausgegangen, sein Weg ist beispielhaft für unser Leben. Die Theorie muss hier immer neu zur Praxis werden. Wenn wir mit dem auferstandenen Gekreuzigten leiden und sterben, werden wir mit ihm einst auferstehen zum ewigen Leben.  Amen.
 


PREDIGT ZUM PALMSONNTAG, GEHALTEN AM 5. APRIL 2009
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„ER WARD GEHORSAM BIS ZUM TOD, BIS ZUM
TOD AM KREUZ“

Das Kreuz ist das Symbol für das Leid der Welt und der Menschen. Unermesslich ist es in den 2000 Jahren, die seit jener Stunde vergangen sind, in der sich das grausame Schauspiel der Kreuzigung des Propheten von Nazareth auf der Anhöhe von Golgotha zugetragen hat. Das Leid begleitet die Menschheit in ihrer Jahrhunderttausende langen Geschichte. Von Blut und Tränen ist sie gezeichnet, diese Geschichte, so sehr, dass man immer wieder an eine anfängliche Katastrophe gedacht hat, um diese Wirklichkeit zu erklären. Die Heilige Schrift belehrt uns, dass das Leid und der Tod, gewissermaßen der Exponent des Leides, durch die Sünde in die Welt gekommen sind und dass wir durch das Kreuz Christi erlöst wurden von der Sünde und ihren Folgen. Das Symbol für das Leid der Welt und der Menschen ist somit zugleich das Zeichen unserer Erlösung.

Die Erlösung setzt das Mysterium der Sünde voraus, das Geheimnis der Ursünde, die für uns zur Erbsünde wurde, und das Geheimnis der persönlichen Sünde, die in dem Maße bestim- mend ist für unser Leben, in dem wir uns der Erlösung entziehen, in dem wir unsere Auto- nomie behaupten. Die Sünde aber hat die Freiheit des Menschen zur Voraussetzung, die Freiheit des Menschen, gemäß dem Willen Gottes oder gemäß seiner Ordnung, also gut oder böse zu handeln, woraus sich seine Verantwortung ergibt, seine moralische Verantwortung. Das eine wie das andere wird heute nicht selten in Frage gestellt, entweder nur praktisch oder praktisch und theoretisch. Die Folge davon ist ein wachsendes Chaos in allen Berei- chen unseres Lebens.

Der Kern der Sünde, der Ursünde wie der persönlichen Sünden der Menschen, ist der Stolz, der sich immer wieder mit dem Egoismus, nicht selten auch mit dem Hass verbündet. Ihn hat der Erlöser am Kreuz gesühnt, indem er sich selbst entäußert hat in demütigem Gehorsam. In ihm offenbarte er seine Liebe, seine Liebe zu seinem Vater und zu den Menschen. Darum können wir der Erlösung nur teilhaftig werden durch die Liebe und durch den demütigen Gehorsam und sie nur in der Liebe und im demütigen Gehorsam bewahren. Der Gehorsam ist die spezifische Gestalt der christlichen Liebe. Er meint die demütige Bereitschaft zum Hö- ren, die Hingabe im Geist des Dienens.

Der Erlöser unterwirft sich dem Stolz und der Unbotmäßigkeit der Menschen. Dadurch über- windet er den Hass, der daraus hervorgegangen ist und immer wieder daraus hervorgeht, und dadurch führt er uns in eine erlöste Welt.

Wie der Stolz und der Hass immer neues Leid hervorbringen in unserer Welt, so wird das Leid durch die demütige, die gehorsame Liebe von Grund auf gemindert. Sofern es aber fortdauert, können wir es dank der Erlösung und mit dem Erlöser tragen in der Hoffnung auf seine vollständige Überwindung im Geheimnis der Auferstehung, denn das Kreuz, das Zei- chen des Leides und der Erlösung, kann nur recht verstanden werden im Licht der Auferste- hung des Gekreuzigten.

Die gläubige Annahme des Kreuzes ermöglicht uns neue Einsichten. Sie erschließt uns den tieferen Sinn unseres Lebens, der Welt und der Geschichte.

Viele weisen heute die Erlösung zurück. Der Abfall von dem Gekreuzigten erfolgt heute auf breiter Front, dabei tarnt er sich oft als Aufbruch. Vielfach führt der Stolz und mit ihm der Hass das Regiment in unserer Welt, leider auch nicht selten in der Kirche, in die der Geist der Welt immer mehr eindringt und den letzten Rest an Glaube und Moral - so hat man zu- weilen den Eindruck - wegzuschwemmen droht. Am sichersten erkennt man diesen Geist an der Lüge, an der Unwahrhaftigkeit. Die Lüge ist die erstgeborene Tochter des Stolzes.

Das Leiden und Sterben Jesu wird unwirksam, wo es nicht gläubig angenommen wird, denn das Kreuz und die Erlösung sind nicht so etwas wie Zauberei. Die objektive Erlösung muss auch subjektiv angenommen werden, die Erlösung hat eine objektive und eine subjektive Seite. Nur durch die Liebe und den demütigen Gehorsam können wir der Erlösung teilhaftig werden und nur in der Liebe und im demütigen Gehorsam können wir sie bewahren. Es geht hier darum, dass wir uns inspirieren lassen von dem Geist des Erlösers, der um unseretwillen gehorsam geworden ist bis zum Tod, und dass wir die Gemeinschaft mit ihm suchen in un- seren Gebeten und in unserem Leben.

Leid und Tod haben nicht das letzte Wort für uns, wenn wir uns nicht der Gnade der Erlö- sung verschließen. Wenn wir das Kreuz Christi gläubig anschauen, finden wir in ihm letztlich die Lösung aller Rätsel unseres Lebens.

In sakramentaler Weise begehen wir das Geheimnis des Kreuzes, das Geheimnis unserer Erlösung, in der Feier der heiligen Messe. Die heilige Messe, sie ist die immer neue Verge- genwärtigung des größten Ereignisses der Geschichte der Menschheit - nur wenige der vie- len christlichen Denominationen wissen das -, in ihr wird uns die Gnade der Erlösung in überreichem Maße zuteil. Darum ist die tägliche Feier und Mitfeier der heiligen Messe das bleibende Ideal des katholischen Christen. Amen.

 

PREDIGT ZUM 1. PASSIONSSONNTAG (5. FASTENSONNTAG), GEHALTEN AM
29. MÄRZ 2009 IN FREIBURG, ST. MARTIN

„WO ICH BIN, DA SOLL AUCH MEIN DIENER SEIN“

In den beiden letzten Wochen der Fastenzeit, der österlichen Bußzeit, tritt das Leiden Chri- sti, das uns an allen Tagen dieser Gnadenzeit vordringlich begleiten soll, noch stärker her- vor in der Liturgie der Kirche als in den voraufgegangenen Wochen. Wir sprechen daher von der Passionszeit. Passion bedeutet soviel wie Leiden. Das Leiden Christi, das hier im Mittel- punkt steht, findet seine Vollendung in Kreuzestod, im Schlussakkord seines Wirkens in die- ser Welt. In ihm kehrt der menschgewordene Gottessohn zurück zu seinem Vater, den er in seiner Menschwerdung verlassen und doch nicht verlassen hat. Wir sprechen von dem glor- reichen Leiden und Sterben Jesu, weil wir es nur recht verstehen, wenn wir die Auferste- hung des Gekreuzigten mit einbeziehen, und weil in diesem Geschehen die Erlösung der Menschheit erfolgt ist. Der Tod Jesu ist mehr als das tragische Ende eines großen Propheten, wie viele ihn heute verstehen wollen, die sich weit entfernt haben von der Botschaft Christi und seiner Kirche, in ihm schenkt Gott uns die Erlösung oder die Versöhnung. Die Erlösung oder die Versöhnung setzt aber die Sünde voraus, das „Schuldiggewordensein“ der Mensch- heit und des Menschen, woraus die Gottesferne hervorgegangen ist. Davon redet die ganze Geschichte der Menschheit, weshalb man in beinahe allen Religionen den Begriff des Opfers kennt. Durch Opfer will man Gott oder die Götter versöhnen und die Wiederherstellung der zerbrochenen Beziehung zwischen drüben und hüben erreichen. Im Opfer bringt der Mensch Gott oder den Göttern eine wertvolle Gabe dar in der Gesinnung der Unterwerfung.

Die Erlösung wird gegenstandslos, wenn es die Sünde nicht gibt, jene Katastrophe am Be- ginn der Geschichte der Menschheit, die wir die Ursünde nennen, und die persönlichen Sün- den der Menschen, worin uns das rätselhafte Böse immer neu begegnet, in uns und um uns. Unserer Zeit blieb es vorbehalten, das eine wie das andere zu leugnen, obwohl gerade heu- te im Chaos einer Welt ohne Gott und ohne ein Jenseits die Fragwürdigkeit des Menschen wie nie zuvor hervortritt. Alle Tage erfahren wir es, dass unsere Welt und die Menschen so nicht von Gott gedacht sein können. In den zahllosen Opfern, die in der Geschichte der Menschheit dargebracht worden sind, suchen die Menschen die Erlösung. Im Tod Christi wird sie ihnen geschenkt, weil in ihm Gott selber sich zum Opfer macht. - Der menschge- wordene Sohn Gottes nimmt in Freiheit den Tod auf sich, den man über ihn verhängt hat. Das tut er aus Liebe zu den Menschen, zu allen Menschen, und im Gehorsam gegenüber seinem himmlischen Vater.

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Im Evangelium des heutigen Sonntags vergleicht Jesus seinen Opfertod, durch den er uns erlöst hat, mit dem Weizenkorn, das in die Erde gesenkt wird, und deutet ihn als Quelle des Heiles für alle Menschen in unbegrenzter Fruchtbarkeit. Dem Weizenkorn ist es zu eigen, dass es sich nur vermehren kann um den Preis seiner Auflösung und seiner Vernichtung. Nur wenn es selber vergeht im Schoß der Erde, kann es viele Ähren mit neuen Körnern hervor- bringen.

Die Erlösung im Zeichen des Kreuzes wird uns zugewendet im Sakrament der Taufe. Des- halb erklärt der Apostel Paulus im Römerbrief, dass die Getauften auf den Tod Jesu getauft sind, dass wir in der Taufe mit Christus begraben wurden und zu einem neuen Leben auferstanden sind (Rö 6, 3 f). - Das Wort „taufen“ kommt von „tauchen“.

Durch die Taufe wurde uns das Leben der Gnade geschenkt. Der Katechismus spricht von der heiligmachenden Gnade. Die Erlösung schenkt uns nicht nur eine neue Beziehung zu Gott, nur das glauben die evangelischen Christen, sie schenkt uns darüber hinaus die heilig- machende Gnade, das göttliche Leben. Somit wird aus dem Sünder ein Gerechter. Das ist die Gabe der Erlösung, diese Gabe ist aber zugleich eine Aufgabe für uns, denn wir müssen uns ihrer würdig erweisen, und wir müssen sie bewahren in unserem Leben. Das tun wir, wenn das Wort Gottes hören und es zur Richtschnur unseres Lebens machen, und mehr noch, wenn wir mit Christus, unserem Erlöser, leben und sterben und wenn wir immerfort sein Leiden an unserem sterblichen Leib tragen, wie es der Apostel Paulus uns vorgelebt hat.

Die Gnade der Erlösung können wir nur bewahren, wenn wir uns selbst verleugnen und un- ser Kreuz in der Gemeinschaft mit dem gekreuzigten Erlöser tragen, das Kreuz, das Gott uns auferlegt, und auch das Kreuz, das wir freiwillig auf uns nehmen. Das Letztere geschieht im Verzicht, in der Entsagung, in der Selbstüberwindung oder im persönlichen Opfer, das wir Gott darbringen. Auch dieses ist ein wesentliches Element unseres Christenlebens. Die Selbstüberwindung ist nicht besonders schwer, wenn sie aus der Dankbarkeit und aus der Liebe hervorgeht.

Die Erlösungsgnade können wir nur bewahren, wenn wir da sind, wo Chri-stus ist, wenn wir ihm dienen oder wenn wir ihm nachfolgen. Der Weg zum ewigen Leben ist der Weg der Hin- gabe, der Weg des Dienens, nicht der Weg der Selbstverwirklichung - Selbstverwirklichung ist im Grunde ein anderes Wort für Egoismus. Die Selbstverwirklichung ist unserer „Spaßge- sellschaft” zugeordnet, die sich letzten Endes selber auflöst. Mit ihr, mit der „Spaßgesell- schaft”, arrangiert sich ein verbürgerlichtes Christentum, das kraftlos ist und keine Zukunft hat.

Den Weg der Hingabe und des Dienens in der Nachfolge des gekreuzigten Christus sind in beispielhafter Weise die Heiligen aller Jahrhunderte gegangen. Besonders eindrucksvoll zeigt sich das bei der Mutter Jesu und bei dem heiligen Joseph, dessen Fest wir gerade vor zehn Tagen begangen haben.

Im Evangelium des heutigen Sonntags erklärt Jesus: „Wo ich bin, das soll auch mein Diener sein“. Das bedeutet nicht zuletzt für uns, dass wir jeden Tag geistigerweise mit Christus ster- ben, um ganz für Gott und für den Nächsten zu leben, im Geiste der Hingabe und des Die- nens, dass wir, um es mit den Worten unseres Evangeliums zu sagen, unser Leben verlieren, um es in Wahrheit zu gewinnen. Das gilt nicht nur für besonders Auserwählte, das gilt viel- mehr für alle Getauften, sofern sie die Einsicht haben, nur so können wir die Erlösungsgnade bewahren. Damit bringen wir aber gleichzeitig auch Freude und Trost in die Welt, in eine Welt, die aus tausend Wunden blutet, weil sie sich in weiten Teilen der Gnade der Erlösung verschließt und ihren Kairos verspielt.

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Christus, der Erlöser, ist das Modell der Erlösten. Die objektive Erlösung, die uns der Erlöser gebracht hat, können wir nur bewahren, wenn wir uns mit ihm innerlich vereinigen. Das ge- schieht in der Nachfolge Christi, im Leben mit ihm im Geist der Hingabe und des Dienens. Die Erlösung im Zeichen des Kreuzes ist anspruchsvoll: Sie schenkt uns die heiligmachende Gnade oder das göttliche Leben, verpflichtet uns dabei aber als Bedingung für seine Bewah- rung auf das Jesus-Wort: „Wo ich bin, da soll auch mein Diener sein“. Allein, Gott schenkt uns nicht nur das Wollen, er schenkt uns auch das Vollbringen (Phil 2, 13), wenn wir ihn dar- um bitten. Amen.
 

 PREDIGT ZUM 4. FASTENSONNTAG GEHALTEN AM 22. MÄRZ 2009 IN FREIBURG,
ST. MARTIN

„SO SEHR HAT GOTT DIE WELT GELIEBT, DASS ER SEINEN
EINGEBORENEN SOHN DAHINGEGEBEN HAT“

Wir kennen die Geschichte von der ehernen Schlange aus dem Alten Testament. Gott straft sein Volk während der Wüstenwanderung für seine wiederholte Untreue und für seinen ste- ten Rückfall in den Götzendienst durch giftige Schlangen, deren Biss viele dahinraffte. Als Mose dann zu Gott um Hilfe flehte, erhielt er den Auftrag, eine eherne Schlange an einer langen Stange zu befestigen und diese im Lager der Israeliten aufzustellen. Jeder, der durch einen Schlangenbiss tödlich verwundet war, sollte vertrauensvoll die eherne Schlan- ge anschauen und so von seiner tödlichen Krankheit geheilt werden. Das ist ein Gleichnis für das Kreuz Christi, in dem uns das ewige Leben geschenkt wird. In Kreuz wird uns das ewige Leben geschenkt, wenn wir es gläubig anschauen. Das ist der Inhalt des heutigen Evangeliums: die lebenspendende Kraft des Kreuzes Christi, die ihrerseits für uns eine Quelle tiefer Freude ist.

„Laetare“ heißt der heutige Sonntag von alters her, „freue dich!“ Das Kreuz ist das Zeichen der Liebe Gottes, es ist das wirksame Zeichen des Sieges Christi, unseres Erlösers, und un- serer Rettung im Gericht. Unser Leben, unser unvergängliches Leben, geht aus dem Tode Christi hervor. In ihm wird uns nicht die leibliche Gesundheit wiedergeschenkt, jedenfalls nicht in der Regel, wohl aber die Gesundheit der Seele. In ihm wird uns jenes glückselige Leben geschenkt, das den biologischen Tod überdauert, das ewige Leben in der Gemein- schaft mit ihm, das er uns zugedacht hat. Wir sagen auch: Das Kreuz ist unsere Erlösung von dem ewigen Tod. Das ist es aber nur dann, wenn wir es gläubig anschauen und wenn wir in unserem irdischen Leben darauf unser Vertrauen setzen - nicht nur mit Worten, auch mit Taten, wenn wir leben gemäß dem Willen Gottes. Darin sind zwei Gedanken enthalten, die für unser Leben von grundlegender Bedeutung sind.

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Der erste Gedanke: Gott rettet uns aus Gnade, nicht wegen unserer Werke. Der Mensch kann sich nicht selbst erlösen, er findet das Heil vielmehr im Vertrauen auf Gottes Liebe und im Glauben an das Kreuz. Wir können uns nicht selbst aus dem Sumpf herausziehen, in dem wir stecken.

Die Selbsterlösung hat der Mensch nicht nur in den verschiedenen Religionen immer wie- der versucht, sie ist auch eine Versuchung im Christentum und in der Welt heute per se, wenn man nicht gar den Sumpf leugnet, in dem wir stecken. Damit verliert dann allerdings die Rede von der Erlösung vollends ihren Sinn.

Innerhalb des Christentums wird der Irrtum der Selbsterlösung da sichtbar, wo wir Ansprü- che geltend machen vor Gott, wo wir auf unsere Werke pochen, wo unsere Frömmig- keit zum Geschäft ausartet, etwa so: Ich gebe Gott meine Gebete und halte seine Gebote, und er muss mir dafür Glück und Erfolg geben und schließlich das ewige Leben.

Es ist gut, wenn wir uns immer wieder klar machen, dass im Hinblick auf unser ewiges Heil alle Initiative von Gott ausgeht und ausgehen muss, dass wir von daher reich Beschenkte sind, dass Gottes Liebe uns reich gemacht hat durch das Kreuz seines Sohnes. Wissen wir das und erkennen das in aller Demut an, dann werden wir in größerer Dankbarkeit vor Gott leben.

Anspruchsdenken und Undankbarkeit gehören zusammen. Zur Undankbarkeit gehört aber auch die Bitterkeit, der tierische Ernst, wie zur Dankbarkeit die Freude gehört, die Heiterkeit der Seele.

Die Dankbarkeit verbindet den Menschen mit Gott. Sie verbindet die Menschen aber auch untereinander, die Undankbarkeit entzweit sie.

Stehen wir in Demut vor Gott, so werden wir dankbar angesichts seiner unverdienten Liebe. Erst in der Demut erkennen wir die Wirklichkeit, wie sie ist. Die Dankbarkeit aber ist wiede- rum der Kern der Freude.

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Die entscheidenden Begriffe im Christentum sind von daher die Begriffe Gnade und Glaube, Demut und Dankbarkeit und entscheidend ist - von daher - für das Christentum der Begriff der Freude. Das heißt aber nicht, dass es auf die Werke nicht ankommt, dass wir also tun können, was wir wollen. Das ist der zweite Gedanke unserer Überlegungen.

Die Werke des Lichtes sind selbstverständlich für die, die an das Licht glauben. Der Reich- tum, den Gott uns geschenkt hat, muss unser Leben bestimmen. Wir müssen als Erlöste le- ben, damit wir diesen Reichtum, mit dem Gott uns bedacht hat und mit dem er uns immer neu bedenkt, nicht verlieren.

Durch die Sünde ist die Erde ein Tal der Tränen geworden, durch die Erlösung ist sie ver- wandelt worden. Das muss deutlich werden im Leben der Erlösten. Das heißt: Durch uns muss die Welt wieder zum Paradies werden.

Unsere Welt ist erlöst. Wenn es in ihr aber dennoch so viel Leid gibt, so viele Tränen, so viel Not, so viel Hass, so viel Gleichgültigkeit, Kälte und Missverstehen gibt, so viel Grausamkeit, Gemeinheit und Verführung, so bestätigt sich darin das Wort der Schrift: Die Menschen lieb- ten die Finsternis mehr als das Licht. Das ist aber eine Schicksalsfrage für jeden Einzelnen von uns.

Die Werke der Finsternis sind in unserer Zeit vor allem der Widerstand gegen die unbeque- me Wahrheit, die Gott uns schenkt in seiner Offenbarung durch die Kirche, die Unbe- herrschtheit, die sexuelle Freizügigkeit, die Zerstörung von Ehe und Familie und die wahl- lose Tötung von Kindern vor ihrer Geburt.

Von Augustinus (+ 430) stammt das Wort: Der dich ohne dich erschaffen hat (ohne dein Zutun, aus reiner Liebe), rechtfertigt dich nicht ohne dich (er wird dich nicht ohne dich retten). So sagt er in einer Predigt, die uns überkommen ist (Sermo 169, 11,13). Der heilige Thomas (+ 1274) greift diesen Gedanken auf in seiner Summe der Theologie (I/II, q. 113, a. 3).

Wer die Werke der Finsternis tut, wählt das Gericht und das ewige Verderben. Da ist die Sprache der Offenbarung unmissverständlich.

Nicht die guten Werke retten uns, aber die bösen führen uns ins Unheil. Der Adel der Erlö- sung verpflichtet uns.

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Das Kreuz ist das Zeichen des Sieges Christi des Erlösers über die Sünde und den Tod. Unser gläubiges Aufschauen zum Kreuz heilt uns von der Todverfallenheit der Sünde und schenkt uns das ewige Leben.

Es gibt keine Selbsterlösung. Die Erlösung ist für uns ein Geschenk, sie ist gnadenhaft für uns. Sie ist allerdings ein Geschenk, das uns verpflichtet. Wir können es verlieren, und zwar dann, wenn wir weiterhin die Werke der Finsternis tun, das heißt, wenn wir uns nicht distan- zieren von den Praktiken der Kinder dieser Welt, wenn wir kein anderes oder wie man heute gern sagt, alternatives Leben führen.

Die Hörigkeit gegenüber dem Diktat der Massenmedien ist eines Christen unwürdig. Wenn wir all das tun, was man tut, so können wir nicht vor Gott bestehen.

Ein weltläufiges Christentum, das sind die Werke der Finsternis, die uns die Gnade der Erlösung verspielen lassen.

Auch die Diener der Kirche können sich versündigen, wenn sie nicht immer neu zu die- sem Leben aufrufen, wenn sie beschwichtigen, statt ungeschminkt das Wort Gottes und seine Forderungen und die Konsequenzen der Weltläufigkeit der Christen in den Raum zu stellen und, die Menschen immer wieder gleichsam in der Art der alttestament- lichen Propheten beschwörend, zu verkündigen. Amen.

 

PREDIGT ZUM 3. FASTENSONNTAG, GEHALTEN AM 15. MÄRZ 2009
IN FREIBURG, ST. MARTIN
 

 „MACHT DAS HAUS MEINES VATERS NICHT ZU EINER MARKTHALLE“

Die Tempelreinigung Jesu erfolgte anlässlich des ersten Osterfestes, das Je-sus mit seinen Jüngern in Jerusalem verbracht hat, also ganz am Anfang sei-ner öffentlichen Tätigkeit. Die Situation war folgendermaßen: Im äußeren Vorhof des Tempels, dem so genannten Vorhof der Heiden, verkauften die Viehhändler die Opfertiere an die Wallfahrer, die dabei ihre jeweilige Landeswährung in die palästinische Währung umtauschen konnten, kamen sie doch von überall her. Der Vorhof gehörte nicht zum eigentlichen Heiligtum, und die Geschäfte waren hier erlaubt, offiziell waren sie genehmigt worden durch den Hohen- priester, der die letzte Verantwortung für den Tempel trug. Zudem war für die Missstände in der Tempelregion die Tempelpolizei zuständig, die aus Leviten bestand, und von dem Tempelobristen befehligt wurde, einem Priester, der seinem Rang nach sogleich nach dem Hohenpriester kam. Was Jesus tat, war also ungesetzlich und zugleich eine Macht- anmaßung. Sein Tun wurde darüber hinaus als Anklage empfunden, als hätten die Verantwortlichen nicht ihre Pflicht getan. Deshalb verlangte man von ihm ein Zeichen, ein Wunder, mit dem er sich als Prophet hätte ausweisen und damit sein Tun rechtfer- tigen können. Wäre er nämlich ein echter Prophet gewesen, so hätte ihn die göttliche Autorität über die menschliche gestellt. Jesus wirkt jedoch kein Zeichen, er wirkt keine Wundertat, verheißt sie aber für die Zukunft, wenn er in rätselhaften Worten von seiner Auferstehung spricht, die ihn als den Messias, als den göttlichen Gesandten, ausweisen sollte. Er han-delt souverän, und er ist ohne Furcht. Er weiß: Wer im Dienst Gottes steht, wer sich für die Wahrheit einsetzt, braucht sich vor den Menschen nicht zu fürchten. Das außergewöhnliche Selbstbewusstsein Jesu, das uns wie hier auch sonst immer wieder eindrucksvoll begegnet in den Evangelien, verweist uns darauf, dass er mehr war als nur ein Mensch. Aber davon soll hier nicht die Rede sein, uns soll es um das gehen, was Jesus mit der Tempelreinigung sagen will, welches Anliegen er damit verfolgt. Es ist der Kampf gegen die Veräußerlichung der Religion, den Jesus in der Tempelreinigung kämpft, der Kampf gegen die Ehrfurchtslosigkeit und für die Innerlichkeit in der Religion sowie für die lautere Gesinnung des Menschen vor Gott.

*

Jesus weiß, dass die Religion morgen gestorben ist, wenn sie heute zum Ge-schäft degradiert wird, er weiß, dass die Ehrfurchtslosigkeit und die Ver-äußerlichung der Tod jeder Religion sind. Das gilt damals wie heute. Sein Eifer für Gott ist eine Anklage für die Menschen seiner Zeit, aber auch für uns, zugleich aber ist er auch eine Mahnung, dass man ihn in diesem seinem Eifer nachahmt. Denn Veräußerlichung der Religion und Ehrfurchtslosigkeit, das gibt es auch bei uns. Sie zeigen sich nicht nur in der Kommerzialisierung der Religion - da wird die Religion zum Geschäft -, sie zeigen sich auch in der Instrumentalisierung des christlichen Glaubens und der Kirche - da be-dient man sich der Religion für die eigenen Interessen. Die Ehrfurchtslosig-keit und die Veräußerlichung zeigen sich vor allem in der Missachtung heiliger Orte und heiliger Dinge und in der Gedankenlosigkeit beim Gebet und beim Gottesdienst. Faktisch ist es so, dass das Haus Gottes und die heili-gen Handlungen heute vielen nicht mehr viel sagen. Dabei werden die Gotteshäu-ser oftmals als solche nicht mehr von profanen Räumen unterschieden. Das gilt für ihre äußere Gestalt wie auch für ihre innere Ausstattung.

Ein sprechender Ausdruck unserer Ehrfurcht in den Gotteshäusern ist es im-mer gewesen, dass wir keine Unterhaltungen darin führen, dass wir uns im Gotteshaus nicht miteinander unterhalten, sondern mit Gott, und dass wir je-ne nicht stören, die das möchten. Das ist auch heute noch angemessen. Im Grunde gebietet das schon der menschliche Anstand, erst recht aber der Glau-be an den im Sakrament gegenwärtigen Herrn. Uns fehlt oft das Gespür für das Heilige. Daher zieht die Verunehrung unserer Gotteshäuser immer weitere Kreise.

Nicht selten sind auch unsere Gottesdienste flach, seelenlos und ohne Innerlichkeit, veräußerlicht und ohne Ehrfurcht. Und es gibt viele liturgische Ex-perimente, die eher ein Ausdruck des verlorenen Glaubens sind als überzeu-gende Gottesverehrung. Da braucht man sich nicht zu wundern, wenn nur wenige dahin kommen. Auch darin zeigt sich die Veräußerlichung, gegen die der Jesus des Evangeliums vorgeht, in der Profanierung unserer Gottes-dienste. Faktisch ist unser Christentum nicht selten zur Folklore und zum Brauchtum geworden und hat es so seine Seele verloren.

Aber auch unser persönliches Beten, unser persönliches Verhältnis zu Gott, wenn überhaupt noch davon die Rede sein kann, ist oft von Ehrfurchtslosig-keit geprägt, von plumper Vertraulichkeit ohne Gespür für das Heilige.

Ehrfurchtslosigkeit breitet sich vor allem auch aus gegenüber dem Sakra-ment der Eucharistie. Es tut einem weh, wenn man es mit ansehen muss, wie manche die heilige Kommunion empfangen, wie unkonzentriert und unge-sammelt. Das geht so weit, dass sie das heilige Sakrament erst auf dem Weg zurück zu ihrer Bank empfangen, gleichsam im Vorübergehen. Die Wirkung des Sakramentes bleibt aus, wenn es ohne Ehrfurcht empfangen wird. Dann kann man sich den Umstand des Sakramentenempfangs ersparen.

Wir machen nicht nur aus den Gotteshäusern Menschenhäuser, wir machen auch aus den Gottesdiensten Menschendienste - oftmals jedenfalls. Da dürfen wir uns nicht wundern, wenn das Interesse an der Botschaft der Kirche zu-rückgeht.

„Die Ehrfurcht ist der Anfang der Weisheit“, heißt es in Psalm 110 (Vers 10).

Sie gehört nicht nur zum Christentum, die Ehrfurcht, sie ist ein wesentliches Element in allen Religionen. Im Tempel zu Jerusalem durfte niemand das Allerheiligste betreten außer dem Hohenpriester, und dieser auch nur einmal im Jahr. Die Ehrfurchtslosigkeit geht aus dem Unglauben hervor und führt immer tiefer in ihn hinein. Das Unsichtbare bedarf der Pflege durch die Ehrfurcht, damit man seine Existenz nicht vergisst.

Im Übrigen ist die Ehrfurcht vor Gott die Voraussetzung dafür, dass wir auch Ehrfurcht haben vor den Menschen. Erst wenn wir Gott die Ehre geben, kön-nen wir sie auch den Menschen geben. Dass wir das zu wenig bedenken, dar-an scheitert heute oft das Zusammenleben der Menschen.

Die Ehrfurcht ist etwas anderes als die Furcht. Die Furcht braucht man nicht zu lernen, sie stellt sich von selber ein. Die Ehrfurcht aber müssen wir lernen und einüben. Sie meint das verehrende Hinaufblicken zu dem Höheren, in liebender Scheu und in scheuer Liebe, sie meint das Ergriffensein von dem Größeren. Dabei müssen wir nicht nur Gott Ehrfurcht entgegenbringen, auch seiner Schöpfung und darin vor allem dem Menschen und auch dem eigenen Ich, dem Bild und Gleichnis Gottes. Statt von Ehrfurcht können wir auch von Achtung sprechen, von Hochachtung und Wertschätzung. In allem, was Gott geschaffen hat, ist etwas von dem unbegreiflichen Gott, von seiner Majestät und Größe, vor allem in den Menschen, damit aber auch in uns selbst.

In der Ehrfurcht gründen letztendlich alle Gebote Gottes, unsere Pflichten ge-genüber Gott, gegenüber dem Nächsten und gegenüber dem eigenen Ich. Sie ist letztlich die Grundlage, die Ehrfurcht, das Fundament unseres gesamten sittlichen und religiösen Verhaltens.

Der Heide Pythagoras hat schon vor über 600 Jahren vor Christus gesagt: In allem habe Achtung vor dir selbst! Und Kardinal Newman schreibt vor mehr 150 Jahren: Die Ehrfurcht des Menschen vor Gott beginnt bei der Ehrfurcht, die der Mensch vor sich selber hat.

Wer die Augen nicht verschließt, der sieht, wie gering der Stellenwert der Ehrfurcht geworden ist. An ihre Stelle sind heute oft frivole Kritik, Spott und Zynismus getreten.

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In der Tempelreinigung, von der das Evangelium heute berichtet, wendet sich Jesus vehement gegen die Veräußerlichung der Religion und gegen die Ehr-furchtslosigkeit des Menschen gegenüber Gott und gegenüber dem Heiligen. Damit sind wir alle angesprochen. Die Ehrfurchtslosigkeit ist der Tod des Glaubenslebens, wenn sie nicht gar aus ihm hervorgeht. Die Tempelreini-gung will uns daran erinnern, dass wir in Ehrfurcht vor Gott stehen, dass wir ihn verehren in liebender Scheu und in scheuer Liebe. Das muss sich aus-wirken nicht nur in unseren Gottesdiensten und in unseren Gebeten, sondern auch in unserem Verhalten an heiligen Orten. Die Ehrfurcht vor Gott um-schließt die Ehrfurcht vor allem Geschaffenen, vor allem die Ehrfurcht vor dem Menschen, dem Bild und Gleichnis Gottes, der Krone der Schöpfung, Ehrfurcht in der Gestalt der Hochachtung und der Wertschätzung. Amen.

 

 

PREDIGT ZUM 2. FASTENSONNTAG, GEHALTEN AM 8. MÄRZ 2009 IN
FREIBURG, ST. MARTIN

„DIESER IST MEIN GELIEBTER SOHN, AN DEM ICH MEIN WOHLGEFALLEN HABE“

Die Verklärung Jesu gewährt drei Jüngern Jesu, Petrus und den Zebedäus-Söhnen, einen Blick in die Zukunft und zugleich in die Tiefe ihrer gegenwär-tigen Wirklichkeit. Es wird ihnen eine Ahnung davon vermittelt, wer dieser wirklich ist, den sie ihren Meister nennen, und was er ihnen einmal schenken will. Das geschieht auf einem Berg - die Berge sind, weil sie geheimnisvoll sind, in der Heilsgeschichte stets besondere Orte der Gottesoffenbarung. Der entscheidende Satz des Evangeliums, der Höhepunkt der Erzählung von der Verklärung Jesu, liegt in dem, was die Stimme aus der Wolke sagt: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe“. Und sie fügt hinzu: „Hört auf ihn”. Gott, der Vater, hat an ihm sein Wohlgefallen, weil er seinen Willen erfüllt, in Treue, bis in den Tod. Dieses Wohlgefallen hat Gott auch an uns, wenn wir auf seinen Sohn hören. Auf die Gesinnung des Gehor-sams kommt es an dabei. Diese Gesinnung hat der Sohn Gottes in beispiel-hafter Weise zum Ausdruck gebracht in seiner Bereitschaft, als Mensch Gott auch auf unergründlichen Wegen zu folgen und den Weg des Leidens und Sterbens zur Erlösung der Menschheit zu gehen.

Der Gedanke des Gehorsams, verbindet auch die (erste) Lesung mit dem Evangelium. Dem Gehorsam Jesu, der vorgebildet ist in dem Gehorsam des Abraham, entspricht das Wohlgefallen Gottes an seinem Gesandten, das seine Erfüllung findet in dessen Verklärung, zunächst mehr vordergründig und vor-läufig, dann aber endgültig und in ewiger Vollendung.

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Die Verklärung in ewiger Vollendung, sie ist der Lohn des Gehorsams. Die Erfüllung des Willens Gottes, sie bestimmt den Weg des Erlösers, der sich selbst erniedrigt, den aber Gott erhöht hat. In dem Geschehen der Verklärung Jesu wird den drei Jüngern stellvertretend für die anderen Jünger und für uns alle eine Vorahnung vermittelt von der endgültigen Verklärung, zu der sie und wir alle berufen sind. Von daher ist der Sinn dieses Geschehens der, dass es die Jünger Jesu und mit ihnen wir alle erfahren und wissen, dass es sich lohnt, dem gekreuzigten Erlöser nachzufolgen.

Darüber hinaus sollen sie Trost finden in diesem Geschehen angesichts der Anfeindungen, die Christus erfahren hat und die er noch erfahren wird und angesichts des Kreuzes, an dem er wenige Wochen später sterben wird. In dem, was ihnen in der Verklärung Jesu widerfährt, sollen sie aber auch Trost finden angesichts der Leiden, die sie schon sehr bald um Jesu willen auf sich nehmen müssen. Das gilt nicht weniger für alle, die sie zu Christus führen werden.

Der Vorgang der Verklärung ist nicht zu beschreiben, das, was die Jünger in ihr erlebt haben, ist geheimnishaft, so sehr wie der endgültige Zustand Chri-sti nach seiner Auferstehung und der endgültige Zustand derer, die wie er im Gehorsam gegenüber Gott die Todesschwelle überschreiten, die durch die Erfüllung des heiligen Willens Gottes dessen Wohlgefallen auf sich herabru-fen und darin bis zum Tod verbleiben.

Die Verklärung Christi gewährt den Jüngern auf jeden Fall einen Blick in die Zukunft, sie zeigt ihnen die Größe der Verheißungen, die ihnen gegeben sind, die all jenen gegeben sind, die Gott die Treue halten in den Bedrängnissen ihres Lebens, wie Abraham es getan hat.

Daraus folgt, dass es für uns keine Verklärung, kein ewiges Leben gibt, ohne dass wir im Gehorsam Christus nachfolgen, Christus und seinen Heiligen.

Das bedeutet konkret, dass wir für die Wahrheit einstehen inmitten aller Ver-logenheit, die uns umgibt, dass wir auf Christus schauen, der sich die Wahr-heit nennt, nicht auf seinen Gegenspieler, den er den Vater der Lüge nennt, dass wir für Gott eintreten inmitten der Gottlosigkeit unserer Zeit, dass wir für den Glauben eintreten in einer Welt des Unglaubens, für das Jenseitige und Ewige inmitten der Diesseitigkeit und der Fixierung auf das Vordergründige. Das bedeutet, dass wir für die Liebe Zeugnis ablegen in einer Welt des Ha-sses, für Selbstbeherrschung, Verzicht und Abtötung inmitten der Unbe-herrschtheit und Disziplinlosigkeit unserer Tage, inmitten der Selbstge-rechtigkeit und Haltlosigkeit vieler, und für ein einfaches Leben inmitten der Konsumabhängigkeit allzu vieler.

Es gibt keine Verklärung im Sinne der Vollendung bei Gott für uns ohne die Selbstverleug- nung. Dieser Gedanke muss uns begleiten auf unserem Lebensweg, besonders in diesen Wochen, da wir uns auf Ostern vorbereiten. Es ist der Verzicht, der zum heiligen Willen Got- tes dazugehört, von dem wir nicht absehen können. Niemand kann sich davon ausnehmen, wenngleich es heute allzu viele tun. Es geht auch hier um das Wohlgefallen Gottes, um mit der Sprache unseres Evangeliums zu sprechen, ohne das wir unsere ganze Ewig-keit in Frage stellen.

Von daher ist das Evangelium von der Verklärung Jesu ein Anruf an uns alle, dass wir uns um das Wohlgefallen Gottes bemühen und unsere ewige Verklärung nicht leichtfertig in Gefahr bringen, wie es heute allzu viele tun, wenn sie nicht hören wollen, wenn sie sich abwenden von Christus und seiner Kirche, innerlich oder auch äußerlich, wenn sie ihr Leben ohne Gott leben oder wenn sie ein weltläufiges Christentum leben und eintreten für ein solches.

Es ist bedeutsam für uns, dass wir uns immer wieder vor Augen führen, wie kurz die Zeit und wie lang die Ewigkeit ist. Das weite Gewissen unserer Zeitgenossen darf uns nicht beein- drucken oder gar anstecken. Vor Gottes Gericht stehen wir einmal ganz allein.

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In der Verklärung Jesu geht es um die Zukunft, die Gott denen bereitet, die ihm die Treue halten. Diese Treue muss sich in der Erfüllung des heiligen Willens Gottes bewähren. Gegen ihn versündigen wir uns, wenn wir uns mit dem Fürsten dieser Welt verbünden, wenn wir ohne Gott und Christus leben und wenn wir uns mit einem weltläufigen Christentum begnü- gen, das im Grunde eine große Lüge ist. Manchmal ist er rätselhaft und unbegreiflich, der Wille Gottes. Aber auch dann erwartet Gott von uns, dass wir uns ihm unter-werfen. Das Wohlwollen Gottes stellt das Wohlwollen der Welt von Grund auf in Frage. Die Unterwerfung unter den Willen Gottes müssen wir einüben in der Selbstverleugnung, im Verzicht, in der Entsagung, in dem, was wir das Fasten nennen. Alles, was aus Liebe geschieht, ist nicht schwer. Gerade durch den Verzicht lernen wir den Gehorsam. Große Kraft verleiht uns dabei der unverwandte Blick auf die Vollendung, verleiht uns dabei das Leben mit den Sakra- menten der Kirche. Amen.

 

PREDIGT ZUM 7. SONNTAG DES KIRCHENJAHRES, GEHALTEN AM 22. FEBRUAR 2009 IN FREIBURG, ST. MARTIN

„DEINE SÜNDEN SIND DIR VERGEBEN“

Das Evangelium des heutigen Sonntags schildert uns eine merkwürdige Situation: Die Menge und der Betroffene erbitten von Jesus eine Krankenheilung, er aber antwortet darauf mit der Feststellung: „Deine Sünden sind dir vergeben“. Die Pharisäer nehmen daran Anstoß, wie der Evangelist berichtet, aber wohl nicht nur sie. Weniger nehmen sie Anstoß daran, dass er ihrer Bitte nicht entspricht als dar-an, dass er sich göttliche Rechte anmaßt, denn Sünden vergeben, das kann doch nur Gott selber, stellen sie doch ihn und seine Autorität in Frage. Und wie Recht haben sie damit. Aber - angesichts der Zeichen, die Jesus gewirkt hatte, und der Worte, die sie aus seinem Munde vernommen hatten, hätte es ihnen vielleicht doch dämmern müssen, dass dieser Prophet mehr war als nur ein Prophet. Es ist leichter, das Sündenvergebungswort zu sprechen als das Heilungswort, weil jenes sich in seiner Wirksamkeit der Kontrolle entzieht, dieses sich aber auf einen äußeren Vorgang bezieht, der jedem zugänglich ist. Deshalb rechtfertigt Jesus sei-ne göttliche Macht, die Sünden vergeben zu können, mit der Heilung des Ge-lähmten und bestätigt so die innere Beziehung zwischen der Sünde und der Krankheit.

Zwei Gedanken sind damit angesprochen. Der erste Gedanke: Wichtiger als die Heilung des Leibes ist die Heilung der Seele. Das Zeitliche verblasst vor dem Ewigen. Nicht auf das Sichtbare kommt es an, sondern auf das Unsichtbare. Die Beziehung des Menschen zu Gott ist wichtiger als die kör-perliche Unversehrtheit. Die Hauptsache ist nicht die Gesundheit, wie wir so gern sagen, sondern das reine Gewissen, dass wir uns bemühen, mit Gott ins Reine zu kommen. Deswegen heißt es in der Bergpredigt: „Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Ge-rechtigkeit, und alles andere wird euch hinzu-gegeben werden“ (Mt 6, 53). Der zweite Gedanke ist der, dass die Sünde das größte Übel ist und dass es in erster Linie die Sünde ist, die den Menschen krank macht und die unsere Welt zerstört, im Kleinen wie im Großen.

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Wir alle werden von der Versuchung bedrängt, die irdische Wohlfahrt höher ein-zuschätzen als die übernatürlichen Güter, sie höher einzuschätzen als die Gnade Gottes und die Vergebung der Sünden, die Versöhnung mit Gott. Da ergeht es uns nicht anders als den Leuten von Kapharnaum, die die Heilung des Kranken wollten. Wenn Jesus dem Kranken zuerst die Sünden vergibt und ihn dann von seiner Krankheit heilt, bemüht er sich zunächst um den inneren Menschen, zeigt er damit an, dass die übernatürlichen Gaben Gottes wich- tiger sind als die natürlichen. Der innere Mensch und das Zeugnis, dass die übernatürlichen Gaben Gottes wichtiger sind als die natürlichen, das ist auch der Auftrag der Kirche, die Jesu Werk in der Welt fortsetzen muss.

Die sozialen Aufgaben sind wichtig, auch Umweltschutz und Friedens-forschung und eine christliche Politik. Aber wichtiger ist der Glaube, dass er gelebt und verkündet wird, wichtiger ist die Verehrung Gottes, die Erfüllung des Willens Gottes und die Versöhnung mit ihm oder das Freiwerden von der Schuld, wichtiger als die Sorge für das zeitliche Wohl ist die Sorge für das ewige Heil.

Der Kirche muss es in erster Linie um die Seelen gehen und um die Bindung des Menschen an Gott. Das ist schon lange nicht mehr selbstverständlich. Der religi-öse Charakter der Bot- schaft der Kirche und ihres Auftrags steht heute nicht selten zur Disposition. Nur schwerlich widersteht die Kirche dem Sog der Diesseitig-keit, womit sie ihre eigentliche Bestimmung verliert. Die Säkularisierung, die Verweltlichung, nistet sich immer mehr ein im Innersten der Kirche. Es breitet sich heute ein verhängnisvoller Horizontalismus aus, im Leben der Kirche als solcher und im Leben des Einzelnen in der Kirche.

Im Leben der Kirche tritt dann an die Stelle der Verkündigung und des Lebens aus dem Glauben, des Gottesdienstes und des Gebetes und der Spendung der Sakramente der Gemeindebetrieb, der hohl ist, im Leben des Einzelnen in der Kirche tritt dann an die Stelle von all dem die Moral, aber auch davon bleibt dann, näher besehen, nicht mehr viel übrig. Mit der Dominanz des Gemeindebetriebs verliert sich auch die Moral, bleibt am Ende nicht einmal mehr viel von einer natürlichen Moral. Speziell ist hier an das Ethos der Wahrhaftig- keit zu erinnern.

Das wurde wieder offenbar in der beschämenden Kampagne gegen den Heiligen Vater, wie sie vor allem in Deutschland und in Österreich hervorgetreten ist in diesen Tagen und ausge- rechnet von den theologischen Lehrern angeführt worden ist, mit denen sich törichterweise dann noch der eine oder andere Bischof verbündet hat, aus mangelnder Einsicht oder aus Opportunismus.

Wenn uns das Innere wichtiger ist als das Äußere, wenn wir der Seele die Priorität geben vor dem Leib, wenn das Unsichtbare und das Ewige uns bedeutsamer erscheinen als das Sichtbare und das Zeitliche, dann werden wir auch realisieren, dass die Sünde ein größeres Übel ist als die Krankheit, dass die Sünde das Übel schlechthin ist.

Leid und Tod sind durch die Sünde in die Welt gekommen. So lehrt es uns der Glaube der Kirche. Die Sünde ist es, die den Menschen krank macht und die seine Welt zerstört. Um der Sünde willen ist Gott ein Mensch geworden, die Sünde ist der dunkle Hintergrund der Frohen Botschaft, die der menschgewordene Sohn Gottes verkündet hat und deren Folgen er zerstört hat in den Zeichen, die er gewirkt hat, nicht zuletzt in seinem Sterben und in seiner Auferstehung.

Die Vergebung der Sünden und die Behebung ihrer zerstörerischen Folgen in der Zeit und in der Ewigkeit, darin besteht das Wesen der Erlösung. Diese Erlösung zu vermitteln, das ist die eigentliche Aufgabe der Kirche. Das bedeutet, dass sie im Auftrag ihres Stifters primär die Sünden zu vergeben und deren zerstörerische Folgen zu beheben hat. Deshalb muss es in der Kirche, wenn man einmal von der Glaubensverkündigung absieht, in erster Linie um die Spendung des Sakramentes der Buße und um die Feier der heiligen Messe und um das Gebet gehen, um jene Akte, in denen immer neu die Versöhnung mit Gott begangen wird.

In der Sünde missachten wir das Gesetz Gottes. Ihre Quelle ist immer unsere Selbstherr- lichkeit, in der wir unsere eigenen Gesetzgeber sein wollen. Mit solcher Emanzipation aber zerstören wir unser Leben und unsere Welt, so wenig uns das in der konkreten Situation bewusst sein mag.

Der heilige Augustinus (+ 430) ruft in seinen Bekenntnissen aus: „Du, o Gott, hast die Welt so geordnet, dass jeder ungeordnete Geist sich selber zur Strafe wird“. Die Sünde hat die Strafe zur Folge. Das gilt, auch wenn man das nicht gern hört, auch in unserer Zeit. Dabei müssen wir unterscheiden zwischen jener Strafe, die die Kehrseite der Sünde ist, und jener Strafe, die Gott eigens verhängt. Solche Zusammenhänge bezeugt uns nicht nur die Offenbarung, von ihnen weiß schon der Heide Platon 400 Jahre vor Christus.

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In unserer Oberflächlichkeit laufen wir heute immer mehr Gefahr, das Eigentliche zu verge- ssen und uns im Uneigentlichen zu verlieren. Das heu-tige Evangelium erinnert uns daran, dass unser Verhältnis zu Gott wichtiger ist als alles in der Welt, dass die Ewigkeit bedeutsa- mer ist für uns als die Zeit und dass unsere erste Sorge dem Unvergänglichen gelten muss, dem Endgültigen. Dann geht es uns in erster Linie um die Erfüllung des Willens Gottes, um die fortwährende Vergebung angesichts unserer Unvollkommenheit und vor allem um die Verbundenheit mit Gott im Gebet. In diesem Zusammen-hang müssen wir die Bedeutung des Bußsakramentes sehen. In ihm klingt das schönste aller Menschenworte weiter, jenes Wort, das im Mittelpunkt unseres Evangeliums steht: „Deine Sünden sind dir vergeben“.

Alles Unheil in der Welt kommt aus dem Herzen des Menschen, aus seinem Inneren. Erst wenn der innere Mensch gesundet, kann es auch der äußere Mensch und die Welt über- haupt. Auf den Einzelnen kommt es an. Die Verwandlung des Menschen beginnt in seiner Versöhnung mit Gott.

Daher ist die Vergebung der Sünden wichtiger als alles in der Welt. Wird die Seele geheiligt, wird der ganze Mensch gesund. Heil wird die erst Welt da, wo der Mensch im Heil ist und wo er heil wird. Von Dauer ist die Verän-derung der Verhältnisse nur dann, wenn sie im Herzen, das heißt im Inneren des Menschen, ihren Ursprung hat. Amen.
 

 

PREDIGT ZUM 6. SONNTAG IM JAHRESKREIS, GEHALTEN AM 15. FEBRUAR 2009 IN FREIBURG, ST. MARTIN

„ICH WILL, SEI REIN“

Im Evangelium des heutigen Sonntags drängt sich ein Aussätziger, der von der Wunder- macht Jesu gehört hat, an Jesus heran, er lässt die strengen Absonderungsvorschriften, die damals für die Aussätzigen galten, außer acht und erbittet die Reinigung von seiner Krankheit. Und Jesus heilt ihn durch ein einziges Machtwort: „Ich will, sei rein“. Wie alle Krankheiten versteht er auch diese Krankheit als Manifestation der Macht des Bösen, das folgt aus der Feststellung des Evangelisten „erzürnt streckte er seine Hand aus“, so heißt es nämlich im ursprünglichen Text. Die Heilung ist somit mehr als nur ein Wunder. Der Geheilte aber verkündet es überall, was an ihm geschehen ist, in großer Dankbarkeit, ungeachtet des Schweigegebotes, das der Wundertäter ihm auferlegt hat.

Wiederholt wird uns in den Evangelien die Heilung vom Aussatz durch Jesus berichtet. Sie ist ein Zeichen für den Anbruch der messianischen Zeit. Als Johannes der Täufer einst die Frage an Jesus gerichtet hatte: „Bist du es, der da kommen soll oder sollen wir auf einen an- dren warten“, hatte dieser ihm geantwortet „Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige wer- den rein“ (Mt 14, 5). Und bei der ersten Aussendung der Zwölf durch Jesus gehört die Heilung vom Aussatz zu den Vollmachten, mit denen er sie ausstattet (Mt 10, 8).

Bis in die Gegenwart hinein war der Aussatz eine bedrängende Menschheitsplage, eine un- heilbare Krankheit, die zudem noch hoch ansteckend war, weshalb sie die strenge Abson- derung der Kranken zur Folge hatte. Erst die mo-derne Medizin macht die Heilung möglich. Zur Zeit Jesu galt in den Kreisen der jüdischen Theologen, der Rabbinen: Die Heilung vom Aussatz ist so schwer wie die Auferweckung eines Toten.

Jesus heilt die Krankheiten des Leibes und der Seele durch sein Wort und durch seine Taten. Deswegen nannten frühere Generationen ihn treffend den Heiland. Heiland ist die alte Form für „heilend“, der Heiland ist also der Heilende. Das ist sein eigentliches Wesen. Er ist der Heiland, weil er gekommen ist, die zerbrochene Welt wieder zusammenzufügen und den kranken Men-schen wieder ins Lot zu bringen. Er heilt die Menschen, damals in sei- nem Erdenleben, an Leib und Seele. Das tut er heute nicht weniger. Seitdem er in seine Herrlichkeit eingegangen ist, tut er das durch seine sichtbare Gestalt, die Kirche, und im Maße des Glaubens und des Vertrauens der Menschen. Der Heiland heilt die Menschen an Leib und Seele. Nichts anderes bringt der Name „Jesus“ zum Ausdruck. „Jeschua“, so nann- ten ihn die Menschen seiner Zeit. Jeschua bedeutet soviel wie „Jahwe heilt“, Gott macht gesund.

Die Krankheit ist die Außenseite der Sünde, wie alle Not und alles Leid in der Welt die Außenseite der Sünde ist. Weil allzu viele das nicht sehen wollen, deshalb wachsen die Not und das Leid der Menschen ins Unermessliche. In einer kranken Welt muss der Mensch krank werden. Krank aber ist eine Welt, die sich der Erlösung versagt, die den Heiland nicht aufnimmt, die sich ihm und seinen Boten widersetzt, wie wir das in diesen Tagen wieder schmerzlich erfahren haben in der Kontestation gegen den „Christus praesens“.

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Die Heilung des Aussätzigen ist eines der zahlreichen Wunder, die uns in den Evangelien überliefert werden. Heute werden sie von vielen geleugnet, die Wunder Jesu, oder sie wer- den aus der von dem Wundertäter ausgehenden seelischen Wirkung erklärt, also suggestiv, oder psychogen, aus dem Glauben des Kranken. Oder man spricht einfach von Legenden- bildung und Entlehnungen aus dem Hellenismus. Das geschieht zum einen deshalb, weil man Jesus als einen gewöhnlichen Menschen ansieht, zum anderen deshalb, weil man meint, Gott könne nicht in diese Welt eingreifen.

Die Leugnung der Wunder Jesu erfolgt heute immer häufiger auch in der Verkündigung oder auch im Religionsunterricht. Das ist eine paradoxe Situation.

Es sei zugegeben, dass manche Wunderberichte der Evangelien aktualisiert worden sind und dass es auch Wunderberichte gibt in den Evangelien, die als literarische Formen ihre rechte Interpretation finden, aber es ist unmöglich, sie in ihrer Gesamtheit als Schöpfungen des urchristlichen Gemeindeglaubens und des Einflusses jüdischer oder hellenistischer Wun- dergeschichten hinwegdeuten zu wollen. Unmöglich ist das deshalb, weil die Wundertaten einen wesentlichen Bestandteil des öffentlichen Wirkens Jesu bilden, und weil sie aufs Engste mit seiner Verkündigung, mit seiner Lehrtätigkeit verbunden sind. Sie demonstrieren die Zerstörung der Werke Satans und die Aufrichtung der Gottesherrschaft. Und immer wie- der verweist Jesus auf die Wunder als Bestätigung, als das göttliche Siegel seiner Sendung und seiner Messiaswürde.

Das Eigenartige an den Wundern Jesu ist ihr Zeichencharakter, sie sind Offenbarungen der im Anbruch begriffenen Gottesherrschaft. Das Kommen der Gottesherrschaft bedeutet in der Verkündigung Jesu und in seinem Wirken zugleich das Vergehen der Satansherrschaft. Das wird unterstrichen durch die zahlreichen Dämonenaustreibungen, die im Vordergrund des Wunderwirkens Jesu stehen. Der Wundertäter steht hier nicht neben dem Lehrer, sondern beide Seiten seiner Wirksamkeit bilden eine untrennbare Einheit und haben das eine Ziel, die Hinwendung des Menschen zu Gott.

Die Wunder sind nicht wegzudisputieren aus dem Leben Jesu. Sie müssen zusammen gese- hen werden mit seinem göttlichen Selbstbewusstsein und mit seiner Vollmacht, die auch sei- ne Gegner nicht in Frage stellen. Die Pharisäer leugnen seine Wunder nicht, bezeichnen sie aber als Teufelswerk.

Die Wunder Jesu werden nicht aus bloßem Mitleid mit dem menschlichen Elend gewirkt, immer wollen sie Offenbarungen der Macht Jesu sein und den Glauben an seiner göttliche Sendung wecken und stärken. Entscheidend ist für sie, dass sie Selbstoffenbarungen des Gottessohnes sind.

Zu keiner Zeit gab es eine Überlieferung von Jesus ohne Wunder. Wir kennen diesen Jesus als Wundertäter, oder wir kennen ihn überhaupt nicht. Es ist nicht ein Zufall, dass die Evangelien nur von Jesus, nicht aber von Johannes dem Täufer Wunder berichten (vgl. Joh 10,41). Auch die großen Rabbinen zur Zeit Jesu wurden nicht als Wundertäter verehrt. Zudem empfing Jesus nicht die Wunder, sondern er tat sie.

Es kommt hinzu, das er nicht durch Gebet oder durch das Sprechen von Zauberformeln heilt, sondern lediglich durch sein Machtwort, durch einen bloßen Willensakt. Jesu Wunder werden gewirkt durch sein krafterfülltes Wort. Gerade dadurch unterscheiden sie sich von den Wundern der Antike. Zudem befriedigen sie nicht die Sensationslust der Menge noch dienen sie der Selbstverherrlichung des Wundertäters noch der Beseitigung materieller Not. Nie hat Jesus ein Wunder für sich selbst gewirkt, weder zur Selbsthilfe noch als ein Schau- wunder.

Wo immer die Wunder missdeutet werden und wo ihr eigentlicher Zweck nicht erreicht wird, da entzieht sich Jesus der Menge. Auch das spricht für ihre Historizität.

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Wir beten heute im Tagesgebet um ein neues Herz, im Gabengebet beten wir darum, dass wir neue Menschen werden. Ein neuer Mensch wurde der Aussätzige in der Begegnung mit Christus, neue Menschen sollen wir werden in der Begegnung mit dem Heiland. Der Aus- sätzige im Evangelium verweist uns auf den himmlischen Arzt. Dieser deckt uns die Sünde als die tiefste Ursache aller Krankheit auf. Er möge uns heilen an Leib und Seele, vor allem aber bestärken im Vertrauen auf ihn, dass wir nicht in erster Linie auf Men-schen bauen, das wir vielmehr in erster Linie auf ihn unsere Hoffnung setzen. Amen.

 

PREDIGT ZUM 5. SONNTAG IM KIRCHENJAHR, GEHALTEN AM 8. FEBRUAR 2009 IN
FREIBURG, ST. MARTIN

„ER GING AN EINEN EINSAMEN ORT, UM
DORT ZU BETEN“

Im Evangelium des heutigen Sonntags wird uns eine Zusammenfassung de-ssen gegeben, was Jesus, der menschgewordene Gottessohn, in den Jahren seines öffentlichen Wirkens getan hat. Da wird festgestellt, dass er Kranke geheilt und Dämonen ausgetrieben hat, dass er die Menschen belehrt und ihnen seine Botschaft vom Reich Gottes verkündet und erklärt hat und - dass er gebetet hat.

Die Taten Jesu illustrieren seine Worte. Die Krankenheilungen und die Dämonenaustrei- bungen haben für ihn in erster Linie die Aufgabe, seine Botschaft zu erläutern und beispiel- haft zu zeigen, dass da, wo die Menschen ihm Glauben schenken und wo sie ihm vertrauen und sein Wort glaubend annehmen, die Welt heil wird, dass die Menschen da gesund wer- den, leiblich und seelisch, und zwar von der Wurzel her.

Wo Jesus, der Heiland der Welt, und sein Evangelium die Menschen heilen, da verschwin- den nicht nur die Symptome, da werden auch die Ursachen der Krankheiten in die Heilung mit einbezogen.

Aber bedeutsamer als die Worte, die Jesus gesprochen, und die Taten, die er gewirkt hat, ist für ihn das Gebet. Mit seinem Beten hat er seine Jünger mehr beeindruckt als mit seinen Reden und mit seinen Taten. Tatsächlich stand das Gebet im Mittelpunkt seines Wirkens, war das Gebet im Grunde die ent-scheidende Kraft seines Lebens.

Im Evangelium des heutigen Sonntags heißt es: „In der Frühe des Morgens, noch vor Son- nenaufgang, erhob er sich. Er ging an einen einsamen Ort, um dort zu beten“.

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Das Beten hatte für Jesus einen hohen Stellenwert. Es war die eigentliche Mitte seines Le- bens. Das bezeugen die vier Evangelien einmütig. Ebenso einmütig bezeugen sie, dass das Beten des Meisters die Jünger aufs Tiefste beeindruckt hat.

Vor allem im Lichte dieser Erfahrung erkannten sie, die Jünger, dass ihr Meister nicht dieser Welt angehörte, dass er eigentlich ein Fremdling war in dieser Welt. Gern betete er in der Frühe, und immer suchte er einsame Orte auf für sein Gebet. Mit Vorzug widmete er sich dem Gebet schon vor dem Beginn des Tages. Da war er sicher vor dem Lärm der Menschen und vor den Geschäften des Alltags. Uns erteilt er in seinem Beten eine bedeutende Lek- tion. Sie lautet: Wichtiger als alles andere in unserem Leben ist das Gebet, das Wichtigste aber gehört an den Anfang, und nur in der Stille kann man Gott finden.

Heute ist es nicht gut bestellt um das Gebet. Das gilt für das Gebet des Einzelnen und noch mehr für das Gebet in den Familien. Zum Teil gilt das auch für das öffentliche Gebet der Kirche, für die heilige Liturgie. Vielen kostet es heute schon eine ungeheure Überwindung, dass sie überhaupt beginnen mit dem Gebet. Und wenn sie dann tatsächlich beten, tun sie das oft recht gedankenlos oder langweilen sich dabei aufs Äußerste.

Wenn das Gebet für Jesus das Allerwichtigste ist, so muss es das auch für uns sein. Denn er ist für uns „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14, 6). Eigentlich sagt es uns schon die Vernunft, dass das Gebet im Mittelpunkt des christlichen Lebens stehen muss, spricht doch der Mensch im Gebet mit Gott und wächst doch im Gespräch die Liebe, die ihrerseits erkaltet, wo immer das Gespräch verstummt. Wenn Menschen nicht mehr miteinander spre- chen, werden sie sich fremd. Das gilt in erhöhtem Maß für unser Verhältnis zu Gott. Denn die Menschen, mit denen wir sprechen, sie können wir sehen, das ist aber nicht möglich bei Gott, niemals können wir ihn sehen mit unseren menschlichen Augen.

Das Gebet ist wie ein Schlüssel, der uns die Tür zu einer neuen Welt öffnet, zur jener Welt, von denen so viele meinen, dass es sie gar nicht gibt. Es ist nicht nur die entscheidende Schule der Gottesliebe, es ist auch die erste Betä-tigung der Tugend des Glaubens.

Wenn wir beten, so darf unser Gebet in erster Linie durchaus die Gestalt des Bittgebetes ha- ben. Beten heißt ja bitten. Aber wir sollen dabei immer wieder durchstoßen auch zum Dank und zur Anbetung. Dem muss unser Bemühen jedenfalls gelten. Denn das Dankgebet und die Anbetung sind die Krönung unserer Bittgebete. Zwar geht es auch im Bittgebet immer um die dankbare Anerkennung der Größe Gottes, wenn jedoch der Dank und die Anbetung das Thema unserer Gebete werden, tritt die Majestät Gottes ganz in den Mittel-punkt und wird unser Gebet ganz selbstlos. Wo wir aber Gottes Größe zum ausschließlichen Thema machen und sie anerkennend preisen, da werden wir selber groß, und da werden auch unsere Bittgebete wirksamer. Dann erhört Gott uns umso bereitwilliger, weil unsere Bitten dann von einem tieferen Glauben getragen werden und uns entschiedener auf den Willen Gottes hinordnen.

Eine besondere Unterstützung erhält unser Bittgebet auch durch das Fasten, durch das Op- fer, durch die Selbstüberwindung, durch die freiwillige Entsagung. Auch das lehrt uns Jesus in seinem Beten. Er erklärt seinen Jüngern, dass die hartnäckigsten bösen Geister durch Fa- sten und Beten ausgetrieben werden (Mt 17, 20).

Des Weiteren lehrt er uns, beim Gebet zu bedenken, was wir dabei tun. Stets betete er an einsamen Orten, weil er für das Gebet Ruhe brauchte und innere Sammlung. Das Gebet be- darf der Konzentration. Auch wir brauchen Ruhe und innere Sammlung für das Gebet, damit es nicht oberflächlich und formalistisch wird. Es ist eine Tatsache, dass viele von uns vor der Stille flüchten, wie der Teufel vor dem Weihwasser flüchtet, dass sie gleichsam Angst haben vor ihr. Angesichts der Dauerberieselung durch Radio und Fernsehen, der wir heute oft ge- zwungermaßen ausgesetzt sind, der wir uns oftmals aber auch freiwillig aussetzen, bedür- fen wir heute der Stille mehr denn je. Suchen wir sie nicht, verlieren wir nicht nur Gott, son- dern auch uns selbst. Heute sind es nicht wenige, die ihr Selbst schon lange verloren haben. Ohne jeden Bezug zu Gott und zur Ewigkeit leben sie in den Tag hinein. Nach außen hin er-scheinen sie vielleicht glücklich, innerlich aber sind sie wie ausgebrannte Stätten.

Jesus bevorzugte für das Gebet die Morgenfrühe, auch das ist bedeutsam für uns. Die Mor- genfrühe war seit eh und je die entscheidende Gebetszeit in den Klöstern, der Morgen, nicht der Abend und nicht der helle Tag. Es ist eine Tatsache, dass jene Klöster, in denen das noch heute der Fall ist, ihre geistige und geistliche Fruchtbarkeit bewahrt und in der Regel keine größeren Nachwuchssorgen haben. Daraus folgt, dass wir alle die Bedeutsamkeit des Morgengebetes, des Gebetes am Beginn des Tages, neu erkennen müssen. Aber nicht nur der Morgen, auch der Abend muss eigentlich Gott gehören. Diese für das Gebet bedeutsa- men Zeiten, den Morgen und den Abend, dürfen wir uns nicht nehmen lassen durch irgend- welche Aufgaben, die wir uns stellen oder stellen lassen, oder durch das Vergnügen oder durch die Unterhaltung. Bei vielen ist es so, dass mit dem Abendgebet das Fernsehen kon- kurriert und mit dem Morgengebet der lange Schlaf.

Wenn wir Zeit haben für Gott, jeden Tag, für das Gespräch mit ihm, dann ist er unsere Kraft im Leben und im Sterben, dann erhält unser Leben einen stillen Glanz, wird es dann doch getragen durch den, der stärker ist als wir und als alle Mächte dieser Welt. Alles, was wir tra- gen müssen und was uns auferlegt wird, wird leicht, wenn es durch das Gebet verklärt wird.

Viel Leid bliebe uns erspart in unseren Familien, wenn wir das Familiengebet wieder oder wieder mehr pflegen würden. Das ist sicher. Auch das ist hier zu bedenken. Unsere Familien sind heute von der Wurzel her bedroht. Ja, weithin sind sie schon zusammengebrochen. Wie anders soll da die Heilung erfolgen, wenn nicht durch das Gebet?

Das Gebet ist das entscheidende Bollwerk gegenüber dem Ansturm des Ungeistes unserer modernen Welt, gegenüber dem Geist der Verführung und der Lüge, der auch vor der Kirche nicht haltmacht. Das zeigt sich in der Gegenwart nicht zuletzt auch in den massierten  An- griffen auf das Petrusamt, deren eigentliches Ziel die Kirche als solche ist. Erkennen wir das existentiell, so wird unser ganzes Bemühen sich notwendigerweise auf das Gebet richten.

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Aber das liegt nicht allein an uns. Denn letztlich ist das Gebet, ist der Geist des Gebetes ein Geschenk der Gnade. Deshalb sollten wir uns mehr und mehr das Stoßgebet zu Eigen ma- chen: Herr, lehre mich beten! Dieses Gebet sollten wir jeden Tag aufs Neue beten. Vor allem sollten wir mit ihm schon am Morgen beginnen und mit ihm unser Tagewerk heiligen. Amen.

 


PREDIGT ZUM 4. SONNTAG IM KIRCHENJAHR, GEHALTEN AM 1. FEBRUAR 2009 IN FREIBURG, ST. MARTIN

„ER SPRACH WIE EINER, DER VOLLMACHT HAT, ANDERS ALS DIE
SCHRIFTGELEHRTEN”

Er sprach wie einer, der Vollmacht hat, göttliche Vollmacht, er sprach anders als die Schrift- gelehrten, und er handelte dementsprechend. Das ist der Kerngedanke des heutigen Evan- geliums. Dieser Jesus verkündete eine neue Lehre mit unerhört eindrucksvollen Worten, ob- wohl er, abgesehen von der Synagogenschule, keine besondere Schulbildung genossen und kein Studium ge-macht hatte, wie die Pharisäer es gemacht hatten. Das verwirrte die führen- den Leute damals, und sie nahmen Anstoß an ihm. Was sie ärgerte, das war seine Überle- genheit und ihre Unterlegenheit. Das einfache Volk, die Wohlwollenden, die Ehrlichen, die nicht Voreingenommenen, die nicht die Religion instrumentalisierten, um selber davon zu profitieren - wie viele sind das heute? Gott weiß es -, die Ehrlichen reagierten mit dankbarer Freude auf die Erfahrung der Vollmacht Jesu. Vielleicht erinnerten sie sich auch daran, dass einst Mose einen ganz großen Propheten vorausverkündet hatte, und fragten sie sich, ob sich diese Vorhersage nicht in ihm erfüllt, ob Mose in seiner Voraussage nicht diesen ge- meint habe. Immerhin war einer von ihnen kurze Zeit zuvor an ihn herangetreten mit der Frage: „Bist du es, der da kommen soll“ (Mt 11, 3)? Wir wissen: In der Vollmacht, mit der Je- sus auftritt, kommt seine ewige Gottheit zum Durchbruch, wird das Geheimnis der Mensch- werdung Gottes offenbar.

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Jesu Vollmacht zeigt sich vor allem darin, dass er die Macht des Teufels und der bösen Gei- ster zerstört, die ihrerseits „in der Fülle der Zeit” besonders heftig auf die Ankunft Gottes in diese Welt reagiert haben. Die Teufelaustreibungen Jesu, die man heute gern aus dem Le- ben und Wirken Jesu eliminieren möchte, sind aufs Innigste mit der Geschichte Jesu ver- bunden. Immer wieder wird uns von ihnen in den Evangelien berichtet, an die fünfzigmal insgesamt. Und unmissverständlich beauftragt Jesus seine Jünger, in seinem Namen die bö- sen Geister auszutreiben (Mt 10, 8, Mk 16, 17). Im heutigen Evangelium erfahren wir, dass die erste öffentliche Machttat Jesu eine solche Teufelaustreibung gewesen ist, womit er deut- lich macht, dass er in erster Linie gekommen ist, um die Werke dessen zunichte zu machen, den er den Fürsten dieser Welt nennt (vgl. 1 Joh 3, 8).

Viele meinen heute, es gebe nur das Böse, nicht aber den Bösen oder die Bö-sen, die Exi- stenz des Teufels und böser Geister sei mit unserem naturwissenschaftlichen Weltbild nicht vereinbar. Tatsächlich haben nicht wenige Theologen den Teufel verabschiedet, wie sie sa- gen. Aber was haben sie nicht alles schon verabschiedet? Beinahe alles, nur nicht sich selbst.

Die Existenz des Teufels oder besser: die Existenz der Teufel lehrt uns die Heilige Schrift, wenn sie unzweideutig von den bösen und guten Engeln spricht. Die Vernunft kann diese Of- fenbarung leicht nachvollziehen, ja, sie kann die Wirklichkeit guter und böser personaler Mächte gar erahnen. Tatsächlich gehört zur Überlieferung der allermeisten Religionen.

Über die guten und bösen Engel hat der heilige Augustinus (+ 430), wohl der größte Gottes- gelehrte der Kirche, lange und viel nachgedacht. Das hat ihn zu der Erkenntnis geführt, dass das Ringen Gottes mit seinem Widersacher das eigentliche Wesen der Geschichte der Menschheit darstellt, die Auseinandersetzung zwischen den guten und den bösen Engeln. Er spricht von dem Kampf der beiden Reiche, des Reiches des Lichtes und des Reiches der Fin- sternis, des Reiches Gottes und des Reiches des Fürsten dieser Welt.

In der Heiligen Schrift gibt es nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass wir die bösen Geister als Personifikation des Bösen als solchen verstehen dürfen. Eindeutig werden sie uns da als Personen vorgestellt, als rein geistige Personen, nicht als Personen, wie wir es sind, sofern wir zusammengesetzt sind aus Geist und Materie.

An zahllosen Stellen in der Heiligen Schrift ist die Rede vom Teufel und von den bösen Gei- stern. Der Teufel wird da als der Mörder von Anbeginn bezeichnet (Joh 8, 44), als der Vater der Lüge (Joh 8, 44) und als der eigentliche Herrscher dieser Welt (Joh 14, 30), als der, der das Unkraut auf den Acker der Welt sät (Mt 13, 38) und als der, der verlangt hat, die Jünger Jesu wie Weizen zu sieben (Lk 22, 31), als der, dessen Werke der menschgewordene Sohn Gottes zu zerstören gekommen ist. Im Lukas-Evangelium erklärt Jesus: „Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen (Lk 10, 18). Im Johannes-Evangelium stellt er fest: „Jetzt wird der Herrscher dieser Welt hin-ausgeworfen“ (Joh 12, 31), und im Matthäus-Evangelium: „Wenn ich durch den Finger Gottes die Teufel austreibe, dann ist in Wahrheit das Reich Got- tes zu euch gekommen“ (Mt 12, 28).

Was den Teufel oder die Teufel angeht, müssen wir wohl unterscheiden zwischen der bild- haften Darstellung und der Wirklichkeit, die darin zum Ausdruck gebracht werden soll. Na- türlich hat der Teufel keine Hörner und keinen Pferdefuß, und er hinterlässt nicht den Ge- ruch von Schwefel. In solcher Darstellung will man die Hässlichkeit des Bösen und seine Un- heimlichkeit zum Ausdruck bringen. Der Teufel ist ein reiner Geist. Als solcher ist er nicht darstellbar.

Die Wirklichkeit ist die: Der Teufel der Geist der Verneinung, die negative Kraft schlechthin, die Kehrseite alles Positiven. Was Gott aufbaut und was der Mensch mit Gottes Hilfe hervor- bringt und gestaltet, das reißt er nieder. Das tut er allerdings stets hinterhältig und heim- tückisch. Denn er ist ein Meister der Täuschung, und nur selten verzichtet er auf seine Mas- ke. Sein Wesen besteht in der Verbindung von Hass und Feindseligkeit, er ist der Urheber al- ler Grausamkeit. Dabei entlastet er jedoch nicht den Menschen, tritt er mit-nichten an die Stelle seiner Verantwortlichkeit, aber er macht die übermenschliche Macht des Bösen, wie sie uns in unserer Welt begegnet, begreiflich, bis zu einem gewissen Grad.

Wenn sein Wirken sich auch vor allem in den destruktiven geistigen Strö-mungen unserer Zeit manifestiert und in dem zerstörerischen Wirken der Menschen, die sich von ihm beein- drucken und in Dienst nehmen lassen, so gibt es doch auch das Phänomen der Besessenheit und der Umsessenheit, im Neuen Testament häufiger, heute seltener. Schwierig ist dabei in- dessen eine klare Scheidung dieses Phänomens von natürlicher Krankheit. Aber auch hin-ter ihr, ja, hinter jeder Krankheit steht letztlich das Walten dämonischer Mächte. Deswegen ist es in allen Fällen angemessen, dass wir uns an den Stärkeren wenden, der auch heute noch die Werke des Teufels und der Teufel zunichte macht, wenn wir vertrauensvoll zu ihm ge- hen und ihn im Gebet suchen.

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Die Auseinandersetzungen Jesu mit dem Teufel sind nicht wegzudenken aus den Evangeli- en, ja die Realität des Teufels und der bösen Geister zieht sich wie ein roter Faden durch die ganze Heilige Schrift hindurch. Vielen ist das heute nicht recht, sie möchten diese Wirklich- keit bildlich verstehen, selektieren damit jedoch mit Hilfe des Kriteriums des Zeitge- schmacks. Dem Teufel kann es nur recht sein, wenn er geleugnet wird, umso ungestörter kann er tätig sein in der Welt.

Jesus setzt sich mit dem Teufel und den bösen Geistern auseinander in seinem messiani- schen Wirken, und zwar programmatisch. Dabei ist es jedoch eine Grundaussage der Evan- gelien, dass er der Stärkere. Auch wir sind die Stärkeren in dieser Auseinandersetzung, die uns in keinem Fall erspart bleibt, wenn wir uns an ihn halten und mit ihm den „guten Kampf” kämpfen, von dem der heilige Paulus spricht (1 Tim 1,18). Ihn finden wir im Gebet sowie in seinem Wort und in den Sakramenten der Kirche. Mit ihm gehört uns die Zu-kunft, mag auch die Gegenwart seinem Widersacher gehören, wirklich oder auch nur scheinbar. Verschreiben wir uns diesem, der uns auch heute, wie seit eh und je, alle Reiche dieser Welt verspricht, gehen mit ihm zugrunde, wenn nicht heute, so aber auf jeden Fall morgen. Amen.

 
 

PREDIGT ZUM 3. SONNTAG IM KIRCHENJAHR, GEHALTEN AM 25. JANUAR 2009 IN
FREIBURG, ST. MARTIN

„DIE ZEIT IST ERFÜLLT, DIE GOTTESHERRSCHAFT IST NAHE HERBEIGEKOMMEN, BEKEHRT EUCH UND GLAUBT AN DIE FROHE BOTSCHAFT“

Die beiden ersten Verse des Evangeliums des heutigen Sonntags bringen das Grundthema der Verkündigung Jesu auf eine kurze Formel: „Die Zeit ist erfüllt, die Gottesherrschaft ist nahe herbeigekommen, kehrt um und glaubt an die Frohe Botschaft”. Nicht anders kann die Verkündigung der Kirche lauten, wenn sie ihrer Aufgabe genügen will. Hat sie doch nichts anderes zu tun, als möglichst genau und getreu das Werk Jesu Christi fortzuführen und das bis zum Jüngsten Tag. Somit geht es in der Verkündigung der Kirche, muss es gehen  in der Verkündigung der Kirche um die erfüllte Zeit, um das nahe Herbeigekommensein der Got- tesherrschaft, um die Umkehr des Menschen und um seinen Glauben an die Frohe Botschaft, an die Frohe Botschaft von der Erlösung.

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Die Zeit ist erfüllt. Was hat das zu bedeuten? Die Heilige Schrift des Neuen Testamentes spricht oft davon, dass mit der Ankunft Gottes in dieser Welt die Endzeit angebrochen ist, die letzte Zeit vor der endgültigen Erlösung. Sie ist bestimmt von der Herrschaft Gottes. Diese ist seit dem Kommen Christi nahe herbeigekommen. Nahe herbeigekommen ist sie, und doch ist sie auch schon da, wie es uns beinahe alle Zeilen des Neuen Testamentes bezeugen. Das will sagen: Die Herrschaft Gottes ist zugleich zukünftig und gegenwärtig, sie ist schon da, wirkt aber einstweilen noch erst im Verborgenen. Die Herrschaft Gottes, die zugleich zu- künftig ist und gegenwärtig, sie meint den Gegensatz zur Herrschaft des Menschen und vor allem zur Herrschaft des Teufels, die Herrschaft Satans, mit der die Herrschaft des Menschen freilich nicht selten identisch ist.

Die Heilige Schrift sagt uns das, was uns im Grunde auch die alltägliche Erfahrung sagt, wenn wir nicht blind sind oder die Augen bewusst verschließen: Noch ist das Böse mächtig, noch herrscht der Teufel mit seinem Anhang durch die Herrschaft des Menschen, noch tobt der Kampf gegen Gott, noch wird Gott verachtet oder lächerlich gemacht, wird sein Eben- bild, der Mensch, in seiner Würde zerstört und damit Gott selber, das Urbild des Menschen. Allein, das geschieht nur äußerlich, die Herrschaft des Teufels ist nur eine scheinbare und die Tage des Bösen sind gezählt. Im Verborgenen zeigt sich schon die Macht Gottes und sei- ner Gnade, wenn unendlich viel Gutes geschieht in der Kirche und in der Christenheit, al- lem Anschein zum Trotz, und wenn es auch in unseren Tagen nicht wenige unbekannte Hei- lige gibt, woran  wir erkennen, dass Gott sich immer wieder als der Stärkere erweist, im blutigen und unblutigen Zeugnis seiner Märtyrer, in der Macht seines Wortes und in der Fruchtbarkeit seiner Sakramente.

Die Zeit für das Wirken des Bösen ist kurz, denn sie die Zeit ist erfüllt, mit dieser Feststellung beginnt Christus sein öffentliches Wirken. Wie kurz die Zeit für das Wirken des Bösen ist, das zeigt uns die Begrenztheit unseres menschlichen Lebens, wenn wir einmal unsere Aufmerk- samkeit darauf richten. Wie schnell müssen wir diese Zeitlichkeit mit der Ewigkeit vertau- schen! Wir werden schneller abberufen, als wir es wahrhaben wollen. Und wie viele werden schon abberufen, bevor sie die Höhe des Lebens erreicht haben?

Die Zeit ist kurz. Das betont auch die Lesung des heutigen Sonntags. Daher ist es töricht, sich in dieser Welt häuslich einzurichten oder diese Welt gar zu vergötzen, wie es allzu oft ge- schieht. Weil die Zeit erfüllt ist, deshalb lohnt es sich nicht für uns, auf sie das Vertrauen zu setzen und von ihr die Erfüllung der Hoffnungen zu erwarten.

Die irdischen Geschäfte, der Besitz, die Ehe, die Trauer, das Glück, das alles sollen wir an- gesichts der Kürze der Zeit und angesichts der Vergänglichkeit nicht verachten, nicht miss- achten und nicht abwerten - das wäre eine extreme Position, eine Missdeutung der Intention Jesu, solche Missdeutungen hat es immer wieder gegeben -, das alles sollen wir nicht ver- achten, aber wir sollen dem allen in innerer Distanz gegenüberstehen. So steht es in der Le- sung des heutigen Sonntags. Wir sollen „besitzen, als besäßen wir nicht“.

Wir sollen uns langsam trennen von dem Vergänglichen und uns so vorbereiten für Gott und für das Kommen der offenbaren Gottesherrschaft, damit uns der Abschied von dieser Welt einmal besser gelingt, das Sterben, dem wir so oder so entgegengehen.

Weltvergötzung und Verliebtheit in das Vergängliche, das ist, schon rein irdisch betrachtet, Torheit. Letztlich begegnet uns darin der Glanz der Herrschaft des Widersachers Gottes, dar- in wird indessen die Herrschaft Gottes gleichsam auf den Kopf gestellt.

Die Weltvergötzung und die Weltverliebtheit, immer führen sie uns notwendig in die Ent- täuschung und in die Verzweiflung, wie das Leben ohne Gott und ohne sein Wort uns letzten Endes stets in eine Sackgasse führt. Davor möchte uns die Verkündigung der Kirche, sollte uns die Verkündigung der Kirche bewahren, die Verkündigung der erfüllten Zeit und des na- he Herbeigekommenseins der Gottesherrschaft.

Innere Distanz gegenüber der Welt, weil die Zeit kurz ist, weil sie erfüllt ist, und weil wir der Gottesherrschaft dienen sollen, weil wir die verborgene Got-tesherrschaft offenbar machen sollen, das ist der eine prägende Gedanke in der Verkündigung Jesu, der andere prägende Gedanke, das ist die Umkehr oder die Bekehrung im kompromisslosen Glauben an die Frohe Botschaft.

In der Umkehr und im Glauben wird die Hoffnung auf die neue Welt gleichsam konkret. Im Glauben an die Frohe Botschaft geht es um den Glauben an die Herrschaft Gottes, die nahe herbeigekommen ist, die gegenwärtig ist und zukünftig, die bald kommen wird, die aber schon im Verborgenen wirksam ist. Der Glaube ist das Fundament der Hoffnung. Dieser Glaube hat die Umkehr zur Voraussetzung, ist dabei aber gleichzeitig ihr Fundament.

Die Umkehr meint die Abkehr von allem Bösen und die Hinwendung, die glaubende Hinwen- dung, so müssen wir schon sagen, zu Christus und zu seiner Kirche. Das ist nicht ein einmali- ges, sondern eine immer neues Geschehen. Dabei gilt es, das wir uns  abwenden von der Selbstgerechtigkeit, von der Anmaßung, von der Sinnlichkeit, von der Bequemlichkeit, vom Egoismus, von der ungeordneten Selbstliebe sowie von der Unehrlichkeit.

Das Böse, dem wir immer neu den Rücken zukehren müssen, hat viele Gesichter, aber stets hüllt es sich in das Gewand der Harmlosigkeit, und stets empfiehlt es sich unter dem Schein des Guten. So hatte es einst die Schlange im Paradies gesagt: „Keineswegs werdet ihr ster- ben, sondern ihr werdet sein wie Gott“ (Gen 3, 4 f). Treffender kann man das Böse und den Versucher nicht beschreiben.

Die Abkehr vom Bösen und die Hinkehr zum Guten im Glauben an die verborgene Gottes- herrschaft, das allein zählt angesichts der Kürze der Zeit, denn alles wird vergehen, an dem wir hängen, alles wird vergehen, und zwar schon bald, was aber bleibt, das ist Gott, und das sind die Werke, die wir aus Liebe zu ihm vollbringen, von denen es im letzten Buch der Hei- ligen Schrift heißt, dass sie den Verstorbenen nachfolgen werden in die Ewigkeit (Apk 14, 13).

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Die Predigt Jesu kreist um die erfüllte Zeit oder um die Kürze dieser Weltzeit, um die An- kunft der Gottesherrschaft, die erfolgt ist und noch erfolgen wird, und um unsere Umkehr im Glauben an das Evangelium. Diese vier Punkte müssen auch das zentrale Thema der Ver- kündigung der Kirche sein. Nicht anders und nichts Anderes darf sie verkündigen, obliegt es ihr doch, gänzlich in den Spuren ihres Meisters zu wandeln. Für uns alle folgt daraus: Di- stanz gegenüber der Welt und Umkehr aus dem Glauben an die verborgene Gottesherr- schaft, Abkehr vom Bösen und Hinkehr zum Guten. Die Verkündigung Jesu ist fordernd. Sie ruft uns immer neu in die Entscheidung. So muss es auch die Kirche tun in ihrer Verkündi- gung. Vielleicht ist es richtiger und realistischer zu sagen: So müsste es auch die Kirche tun. Wer kein Interesse hat an der Verkündigung Christi und seiner Kirche, wer sich Christus uns seiner Kirche verschließt und nicht hinhört, der verfehlt die Stunde der Gnade. Wo immer das geschieht, gebe Gott, dass es da ohne Einsicht und ohne innere Freiheit geschieht. Amen.

 

 

PREDIGT ZUM 2. SONNTAG IM KIRCHENJAHR, GEHALTEN AM 18. JANUAR 2009
IN FREIBURG, ST. MARTIN 

„WIR HABEN DEN MESSIAS GEFUNDEN“

Das Evangelium des heutigen Sonntags berichtet davon, wie Jesus seine ersten drei Jünger beruft. Zwei von ihnen werden durch Johannes den Täufer zu Jesus geführt, der Dritte durch einen der beiden neu Berufenen. So ist es immer wieder geschehen, damals, in den Tagen des irdischen Jesus wie auch den Jahrhunderten der Geschichte der Kirche: Die Berufenen führten Jesus weitere Jünger zu. Dabei müssen wir unterscheiden zwischen den Jüngern, die Jesus im buchstäblichen Sinne nachfolgten, und denen, die das geistigerweise taten, in- dem sie sein Wort gläubig annahmen und sein Beispiel gewissenhaft nachahmten, indem sie ihm Glauben schenkten und seiner Weisung folgten. Es geht hier um die Nachfolge Jesu im engeren Sinne und im weiteren Sinne. Die Erstere erfolgt im Priestertum und im Leben nach den evangelischen Räten, die Letztere im Glauben und im Leben aus der Kraft der Sa- kramente der Kirche.

In jedem Fall ist mit der Nachfolge Jesu die Verpflichtung verbunden, auch andere in die Nachfolge dieses Propheten zu führen, dem Meister immer wieder neue Jünger zuzuführen, wie es schon geschehen ist in der Erdentagen des Messias.

Die Nachfolge und das Apostolat gehören zusammen. Sie sind der Weg des Heiles für einen jeden von uns. Einen anderen gibt es nicht.

Die Nachfolge Jesu ist beglückend, wenn sie bewusst erfolgt, in jedem Fall, aber gleichzeitig ist sie beschwerlich, denn der Jünger ist nicht über dem Meister. Der Weg zum Leben ist ein steiniger und steiler Weg, was freilich nicht für alle in gleicher Weise gilt, vor allem auch nicht für alle Phasen des Lebens.

Jesu Jünger sein bedeutet nicht nur Nachfolge Jesu, sondern auch Werbung für ihn, Einsatz für das Wachsen seiner Jüngergemeinde, mit dem Jüngersein ist, so würden wir heute sa- gen, missionarische Verantwortung verbunden. Diese missionarische Verantwortung ist der entscheidende Ausdruck der Nächstenliebe. Denn an der Spitze der Werke der geistigen Barmherzigkeit steht das Zeugnis für die Wahrheit, speziell das Zeugnis für die Wahrheit Got- tes, wie er sie uns in der Offenbarung vermittelt hat.

Die Menschen zu Christus führen, das bedeutet, sie zur Kirche führen. Wer die Menschen zur Kirche führt, der führt sie zu Christus, denn dieser lebt fort in seiner Kirche, die Kirche ist der gegenwärtige Christus heute, sie ist der gegenwärtige Christus für uns. Wer an der Kirche kein Interesse hat, der hat auch an Christus kein Interesse. Wer aber an Christus kein Inter- esse hat, der spielt mit seinem ewigen Heil. Christus lebt fort nicht in seinen Kirchen, son- dern in seiner Kirche. Die Kirche Christi ist nur eine. In ihr finden wir ihn heute, in ihr schenkt er uns heute sein belehrendes Wort und seine heilende Nähe, in ihr müssen wir uns als seine Jünger bewähren, indem wir seinem Wort und seiner Weisung folgen und ihm im- mer wieder neue Jünger zuführen.

*

Was die Nachfolge im Einzelnen bedeutet, das veranschaulicht die (zweite) Lesung des heu- tigen Sonntags mit dem Hinweis auf die Reinheit des Herzens. Sie verweist damit auf einen bedeutenden Punkt der Nachfolge Christi, auf einen Punkt, der heute von besonderer Aktua- lität ist. Die fehlende Reinheit des Herzens ist es, die viele zum Unglauben führt und zu vielen anderen Sünden. Paulus mahnt in dieser Lesung die Gläubigen von Korinth, jede Form von Unzucht zu fliehen. Er begründet das damit, dass sie, die Gläubigen, durch die Taufe Tempel des Heiligen Geistes geworden sind, dass sie nicht mehr sich selbst, sondern dem Herrn gehören und dass sie zur Auferstehung des Fleisches berufen sind. Die Gemeinde von Korinth lebte in einer ähnlichen Zeit wie wir heute. Das Laster der Unzucht breitete sich aus, wie es sich heute ausbreitet, in ungeahnten Dimensionen. So ist es immer in Zeiten niedergehender Kulturen. Das muss man wissen. Das Laster der Unzucht breitet sich aus in Zeiten kulturellen Niedergangs, und zugleich beschleunigt es dann den kulturellen Verfall. Neu ist heute gegenüber der Zeit des Paulus die totale Kommunikation dank der modernen Massenmedien, die keinen Winkel der Erde aussparen.

Die Kirche hat da eine schicksalhafte Aufgabe in ihrer Verkündigung und in ihrer Pastoral. Sie muss die Menschen zur inneren und zur äußeren Zucht anhalten und ihnen Wege auf- zeigen, die sie beschreiten können und müssen, Wege, die gleichsam das Unmögliche mög- lich machen. So verlangt es das Evangelium. Es geht hier um die Ermöglichung des Glau- bens und des christlichen Lebens und zugleich um die Konsequenz des Glaubens und des christlichen Lebens, letztlich geht es hier um die Rettung des Menschen im Menschen.

Die Unzucht zerstört den Menschen in seiner Würde. Damit steht nicht nur unsere innerwelt- liche Zukunft auf dem Spiel, unser Glück und die Sinnerfüllung unseres Lebens in dieser Welt, sondern die ganze Ewigkeit.

Wichtiger als die Klage über die Zustände und über die Versäumnisse der anderen ist hier - das gilt eigentlich immer - der entschlossene Wille, selber das Rechte zu tun, richtig zu den- ken und zu handeln.  Es ist sicher, dass unsere Trägheit, unsere Leichtfertigkeit und unsere Inkonsequenz mit schuld sind an der Haltlosigkeit und Unbeherrschtheit vieler heute, an der Haltlosigkeit und Unbeherrschtheit, die letztlich aus der Glaubensunsicherheit und aus der Glaubenslosigkeit hervorgehen. Diejenigen, die die jungen Menschen heute verderben, sind zunächst nicht junge Menschen, sondern haltlose und geldgierige Erwachsene.

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Die Nachfolge Christi meint schließlich auch die Sorge um die Einheit im Glauben. Daran er- innert uns die Weltgebetswoche für die Einigung der getrennten Christen, die heute be- ginnt und bis zum 25. Januar den Gedanken der Ökumene in unser Bewusstsein bringen will. Geschichtlich geht sie zurück auf einen anglikanischen Geistlichen, der im Jahre 1909 zur katholischen Kirche übergetreten ist (Spencer Jones). Es geht hier um die Sorge, dass alle Christen, die sich in geschichtlicher Stunde von der einen Kirche Christi getrennt haben, in ihre Einheit zurückfinden.

Die Einheit ist nicht das Werk menschlicher Klugheit. Kompromisse, wie sie oftmals ange- strebt oder als die Lösung angesehen werden, sind hier nichts anderes als Verrat an der Wahrheit. Aus ihnen geht nicht die Einheit hervor, gehen vielmehr weitere Spaltungen her- vor.

Die Ökumene ist heute nicht selten eine Ökumene der großen Worte und des Unglaubens, vor allem jene Ökumene, die wir als Ökumene an der Basis bezeichnen.

Die Wiedervereinigung der getrennten Christen ist das Werk Gottes. Das müssen wir uns im- mer wieder klar machen. Dazu können wir beitragen, und wir müssen es auch. Worauf es dabei aber in erster Linie ankommt, das ist unser Gebet und das ist unsere konsequente Nachfolge Christi in gewissenhafter Treue zu der geoffenbarten Wahrheit und zu ihrem An- spruch.

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Das Evangelium des heutigen Sonntags erinnert uns daran, dass die Nachfolge und das Apo- stolat das Wesen des Evangeliums Jesu Christi darstellen, dass die Nachfolge und das Apo- stolat die entscheidenden Appelle des Christentums beinhalten. Es ermahnt uns, dass wir Je- sus folgen, dem menschgewordenen Sohn des ewigen Gottes, und ihm weitere Jünger zu- führen, dass wir uns in die Jüngergemeinde Jesu eingliedern lassen und dementsprechend leben und dass wir andere hineinführen in sie. In der Nachfolge Jesu und im Apostolat für ihn und seine Kirche, die der Christus heute ist, be-steht der Weg des Heiles für einen jeden von uns. Es geht hier darum, dass wir die Nachfolge Christi in seiner Kirche leben, dass wir in Verantwortung vor Gott stehen und vor den Menschen, dass wir hören auf die Weisung Gottes und uns darin persönlich heiligen und dass wir werben für Christus und seine Kirche, dass wir nach Maßgabe unserer Kräfte die Menschen zu Christus und zu seiner Kirche füh- ren. Es geht hier um die missionarische Verantwortung, die der entscheidende Ausdruck un- serer Nächstenliebe ist. Denn an der Spitze der geistigen Werke der Barmherzigkeit steht das Zeugnis für die Wahrheit. Amen.

 

PREDIGT ZUM FEST DER TAUFE DES HERRN, GEHALTEN IN FREIBURG, ST. MARTIN,
AM 11. JANUAR 2009

„DIESER IST MEIN GELIEBTER SOHN, AN DEM ICH MEIN
WOHLGEFALLEN HABE“

Die weihnachtlichen Festtage im engeren Sinne gehen zu Ende mit dem Fest der Taufe des Herrn. Diese steht in einem inneren Zusammenhang mit dem Geheimnis der heiligen Nacht, sofern sie das tiefste Wesen Jesu hervorhebt und unterstreicht. „Dieser ist mein geliebter Sohn“, heißt es im Evangelium und in der Lesung „denn Gott war mit ihm“.

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Er ist nicht ein Mensch, dieser Jesus von Nazareth, sondern der Sohn des ewigen Gottes, er ist der „Emmanuel“, der „Gott mit uns“, wie ihn der alttestamentliche Prophet Jesaja mehr als sieben Jahrhunderte zuvor angekündigt hatte (Jes 7, 14). Im Glaubensbekenntnis beken- nen wir uns zu ihm mit den Worten: Er war Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott. - Wie viele Glaubenswahrheiten heute ins Rutschen gekommen sind - gelinde ausgedrückt - so ist es auch diese, eigentlich ist das schon so seit mehr als 200 Jahren, seit der Aufklärung, aber heute wird die Gottheit Jesu von immer mehr Menschen geleugnet, entweder nur praktisch oder praktisch und theoretisch. So sagt man etwa: Ein Mensch kann nicht Gott sein, und Gott kann nicht ein Mensch sein, das ist widersprüchlich. Gerade in den weihnachtlichen Tagen wird diese These immer wieder vorgebracht, in den Massenmedien per se, aber verbrämt heute auch in nicht wenigen Kirchen: Jesus - ein einfacher Mensch, Jesus - ein Mensch wie du und ich, ein Prophet, vielleicht auch genial, aber mehr auch nicht. Sieht man die Sache so, kann man sich seinem Anspruch, seinem Beispiel und seinen Worten auf einfache Weise entziehen. Dann braucht man sich nicht mehr selbst zu beherr- schen, dann braucht man sich nicht mehr anzustrengen. Dann muss man nicht mehr gar seine Feinde lieben und gute Arbeit leisten. Dann muss man vor allem nicht mehr auf das Wort der Kirche hören, die er gestiftet hat, und kann sich eine Religion nach eigenem Geschmack zurechtbasteln.

Dass dieser Mensch Gott selber war, wie das möglich ist, letztlich können wir das nicht ver- stehen. Das ist ein Geheimnis. Aber der Glaube wird immer mit Geheimnissen konfrontiert, das gehört zu seinem Wesen. Was wir verstehen und durchschauen können, dafür brauchen wir keinen religiösen Glauben. Dennoch ist unser Glaube nicht Willkür. Er hat seine Gründe, und er muss sie haben. Immer hat es der Glaube mit Geheimnissen zu tun, immer und we- senhaft, aber er muss begründet sein, der Glaube, sonst ist er rein willkürlich. Ein willkürli- cher Glaube aber könnte keine Tugend sein, im Gegenteil, er wäre leichtfertig und mora- lisch verwerflich. So ist es auch mit der grundlegenden Wahrheit von dem menschgewor- denen Gottessohn. Auch diese Glaubenswirklichkeit darf nicht einfach nur geglaubt werden. Und, schauen wir genauer hin, erkennen wir, dass sie wahrhaftig nicht in der Luft hängt.

Die Wahrheit, dass Jesus von Nazareth der Sohn Gottes, der „Gott mit uns“ ist, hat ihre guten Gründe. Denn er hat in seinem Erdenleben gesprochen und gehandelt wie kein Mensch je gesprochen und gehandelt hat. So heißt es in den Evangelien, so bekennen es sogar auch seine Gegner. Das Reden und Handeln Jesu, wie es uns bezeugt wird, müssen wir unvor- eingenommen auf uns wirken lassen, um zu erkennen, dass hier die Erklärung „Prophet“ oder „genialer Mensch“ und erst recht „einfacher Mensch” nicht ausreicht. Die Gottverbun- denheit Jesu, sein Ethos der absoluten Ehrlichkeit und der Liebe, seine Nüchternheit und Geradheit, verbunden mit einem unerhörten Selbstbewusstsein und einem unbedingten An- spruch, das alles übersteigt jedes menschliche Maß.

Hinter der Leugnung von Glaubenswahrheiten und hinter Glaubenszweifeln, die mit einem intellektuellen Anspruch einhergehen, verbirgt sich oft ein ungeordnetes, ichbezogenes Le- ben oder auch die Inkonsequenz derer, die vorgeblich glauben. Das gilt in spezifischer Wei- se in der Gegenwart.

Irgendwie sind wir alle mitschuldig, wenn heute der Glaube an die Göttlichkeit Jesu und sei- ner Kirche in einer nie gekannten Krise steckt. Schon der Apostel Paulus verweist zur Be- gründung des Glaubens immer wieder auf seinen eigenen Glauben hin und auf sein Leben aus diesem Glauben.

Jesus ist der Sohn Gottes. Er ist Gott und Mensch zugleich. Das ist die erste und entschei- dende Glaubenswirklichkeit des Christentums. Deshalb hat der Stifter des Christentums in er- ster Linie ein religiöses Anliegen, die Versöhnung der Menschen mit Gott. „Er heilte alle, die vom Teufel geknechtet waren“, so sagt es der Apostel Petrus in der Lesung des heutigen Festtages. Die Knechtschaft Satans, das ist zunächst die Ursünde, das sind aber auch die schweren Sünden, die wir begehen. Wird die Knechtschaft Satans nicht behoben in diesem Leben, so endet sie in der ewigen Verdammnis. Aus dieser Knechtschaft Satans hat uns Jesus befreit oder erlöst. Diese Befreiung wird dem Einzelnen in der Taufe zugewendet und nach der Taufe im Sakrament der Buße.

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Wir haben an den weihnachtlichen Tagen den Geburtstag des Stifters des Christentums und der Kirche gefeiert. Dieser ist nicht ein einfacher Mensch gewesen oder ein Prophet oder ein genialer Mensch, in ihm ist Gott in unsere Welt gekommen, in ihm hat Gott selber sich er- niedrigt und Knechtsgestalt angenommen. Das hat er getan, um uns der Knechtschaft Satans zu entreißen. Dieses Geschenk wird uns zuteil durch die Taufe und bei Rückfall in diese Knechtschaft durch das Sakrament der Buße.

Die Menschwerdung Gottes, die Ursünde, die Erlösung und ihre Zuwendung in den Sakra- menten der Taufe und der Buße, diese Glaubenswahrheiten oder besser: diese Glaubens- wirklichkeiten bilden eine innere Einheit. Mit dem einen fällt das andere. Die Krise des Chri- stentums ist perfekt. Das zu sehen, verlangt die Tugend der Wahrhaftigkeit, die allerdings heute keinen besonderen Stellenwert zu haben scheint. Amen.

 

PREDIGT ZUM EPIPHANIEFEST, GEHALTEN AM 6. JANUAR 2003 IN FREIBURG,
ST. MARTIN

„WIR HABEN SEINEN STERN GESEHEN“

Der heutige Festtag ist - geschichtlich betrachtet - ein 2. Weihnachtsfest. Das Geheimnis der Menschwerdung Gottes wird an diesem Festtag gleichsam vertieft im Blick auf jene seltsa- men Männer, die aus einem fernen Land nach Bethlehem kommen, um das Kind anzube- ten. Weise werden sie genannt. Deshalb, weil sie wissen, worauf es ankommt, weil sie nicht beim Vordergründigen stehen bleiben, weil sie wissen, dass wir die wichtigsten Dinge im Leben nicht mit unseren leiblichen Augen sehen, sondern mit den Augen des Geistes. Die Überlieferung bezeichnet sie als Könige. Deshalb, weil sie königliche Geschenke mit sich führen und weil sie von königlicher Gesinnung sind. Königlich ist ihr Gesinnung, weil sie nicht ihren persönlichen Vorteil und ihre eigenen Interessen suchen, sondern die Wahrheit, weil sie nicht auf ihre eigene Ehre bedacht sind, sondern auf die Ehre Gottes. Durch ihre An- betung bekennen sie, dass das Kind von Bethlehem nicht nur zur Erlösung des Volkes Israel gekommen ist, sondern für alle Menschen, dass es der Heiland aller Völker ist. Von jeher hat man in den Weisen die Vertreter der Heidenvölker gesehen. Für uns sind sie beispiel- haft, die Weisen. Das heißt: In ihnen müssen wir uns selber wiederfinden, in ihrer Gesin- nung, in ihrem Denken und Handeln. Dahin muss unser Bemühen gehen, dass wir uns wie- derfinden in den Weisen aus dem Morgenland.

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Die Weisen waren von einer großen Sehnsucht nach Gott erfüllt. Sie wussten, dass unser vergängliches Leben durch den ewigen Gott von Grund auf in Frage gestellt wird. Dabei war ihnen klar, dass die Verehrung Gottes die edelste und höchste Berufung des Menschen ist, die Verehrung des wahren Gottes. Es war ihnen klar, dass der Mensch groß wird, wenn er dem Ruf Gottes folgt, dass er hingegen klein wird, wenn er Gott missachtet oder gar dessen Existenz leugnet, wenn er sich auf seine kleine irdische Welt zurückzieht.

Aber nicht nur das war ihnen klar. Sie wussten auch - davon dürfen wir ausgehen -, dass der Mensch sein Menschsein grundsätzlich in Frage stellt und dass er unmenschlich wird, wenn er von Gott abfällt.

Die Geschichte bestätigt es, dass der kulturelle Niedergang der Völker stets mit der Gottlo- sigkeit einherging, dass echte Leistungen der Menschen auf die Dauer nur möglich sind, wenn sie Gott fürchten, wenn sie in der Gottesfurcht leben.

Eine Jugend, die Gott verloren hat, die man in die Gottlosigkeit hineingestoßen hat, wird müde, resigniert, unentschlossen, wankelmütig und lasterhaft. Sie vergreist und hat keine Zukunft mehr. Und sie weiß nicht mehr recht zu leben.

Es war die Sehnsucht nach Gott, die die Weisen aus dem Morgenland umtrieb und die sie zu großen Taten beflügelte: zur Überwindung ihrer Trägheit, zu dem entschlossenen Aufbruch in die Ungewissheit einer langen Reise und zur Treue im Blick auf die große Option ihres Le- bens. Dabei waren sie bereit, ihre falschen Vorstellungen zu korrigieren. Sie hatten sich den Heiland der Völker anders vorgestellt: etwa im Königspalast von Jerusalem, nicht aber als das Kind armer Leute in einem Stall am Rande eines unbedeutenden Dorfes. Gewiss waren sie ein wenig enttäuscht, für eine Weile, aber sie ließen sich nicht beirren. Sie kehrten nicht um, sondern sie orientierten sich neu. Wussten sie doch, dass Gott die Dinge oft ganz anders ordnet, als wir es erwarten, dass Gott seine Macht in dieser Welt nicht selten in der Gestalt der Ohnmacht erweist. Wussten sie doch, dass der, der Gott sucht und ihm dienen will, unter Umständen lieb gewordene Vorstellungen aufgeben muss, dass wir Gott nicht immer dort finden, wo wir dachten, dass wir ihn finden würden, und dass sich die Selbstoffenbarung Gottes manchmal ganz anders darstellt, als wir es erwartet haben. Tatsächlich ist er zuwei- len gerade dort, wo wir ihn nicht vermuteten. Wer um die Größe Gottes weiß, der wundert sich nicht, wenn Gott, die Berechnungen, die er angestellt hat, durchkreuzt. Er wird darunter leiden, eine Weile, wird diese Erfahrung dann aber als eine Prüfung annehmen in Ergeben- heit und sie zum Anlass nehmen, sich in der Demut zu üben.

Die Weisen lassen sich führen, und sie erhalten am Ende den Lohn ihrer Entschlossenheit, ihres Gehorsams und ihrer Treue, die überaus große Freude, die ihnen zuteil wird, als sie das Kind anschauen und anbeten.

Wir müssen uns bemühen, dass wir uns in den Weisen wiederfinden. Ihnen und ihrer Hal- tung müssen wir uns angleichen.

Ihre Sehnsucht nach Gott, die Weise, wie sie ihre Trägheit überwinden, ihre Entschlossen- heit, ihr Aufbruch, ihre Treue, ihr Gehorsam, ihre Demut, das alles ist beispielhaft für uns.

Wir finden den Heiland der Völker - um ihn geht es hier - heute in der universalen Kirche, die ihn verkündet, in der er fortlebt, verborgen, arm und ohnmächtig, nicht anders als da- mals in Bethlehem, ja, heute mehr denn je zerschunden bis zur Unkenntlichkeit, in der Ago- nie des Ölbergs, aber wir finden ihn, wenn wir nicht unsere Herrlichkeit suchen, sondern die Herrlichkeit Gottes, wenn wir weise sind wie die Weisen aus dem Morgenland, wenn wir uns beflügeln lassen von der Sehnsucht nach dem Größeren, nach dem Unbegreiflichen, wenn wir unsere Bequemlichkeit überwinden, wenn wir entschlossen und demütig sind, wenn wir den Stern von Bethlehem in den Zeichen der Zeit erkennen und uns aufmachen. Dann wer- den auch wir immer wieder einmal etwas von der überaus großen Freude verspüren, die den Weisen zuteil wurde, als sie das Ziel ihrer abenteuerlichen Pilgerreise erreicht hatten. Vor allem wird uns diese Freude dann als unvergängliche Seligkeit geschenkt, wenn wir dereinst die Schwelle des Todes überschritten haben werden.

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Wer sich nicht auf den Weg macht, kommt nicht ans Ziel. Wenn wir nicht ausharren in Treue erreichen wir das Ziel nicht. Und wenn das eintritt, dann ist nicht Gott schuld. Er möchte uns alle glücklich machen. Er möchte, dass wir alle das Ziel erreichen. Er erspart uns allerdings nicht die Mühe, den Aufbruch und die Last des Weges. Das Ziel ist umso sicherer für uns, je mehr Menschen wir mitnehmen auf unserem Weg und je mehr wir anderen Wegweiser sind und ihnen als Stern voranleuchten durch unsere Lebensführung. Der Himmel fällt uns nicht in den Schoß.Wer sich nicht auf den Weg macht, kommt nicht ans Ziel. Wir müssen uns be- mühen, dass wir uns in den Weisen wiederfinden. Ihnen und ihrer Haltung müssen wir uns angleichen. Amen.

 

PREDIGT ZUM 2. SONNTAG NACH WEIHNACHTEN, GEHALTEN AM 4. JANUAR 2009
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„DAS WORT WAR DAS WAHRE LICHT, DAS JEDEN MENSCHEN ERLEUCHTET,
DER IN DIESE WELT KOMMT“

Den Geburtstag des Erlösers feiern wir in der Zeit der langen Nächte und der kurzen Tage, in jener Jahreszeit, in der man im heidnischen Rom einst dem unbesiegten Sonnengott, dem „Sol invictus“, dem Gott des Lichtes, huldigte. Darum steht die Weihnachtszeit ganz im Zei- chen des Lichtes, darum zünden wir in dieser Zeit immer neue Lichter an. Dabei gehört zum Weihnachtsfest vor allem, mehr als zu anderen Festen, das lebendige Licht der Kerze.

Im Evangelium des heutigen Sonntags wird der in Bethlehem Geborene als das Licht der Menschen und als das Licht der Welt bezeichnet. Es wird von ihm gesagt, dass er als das Licht gekommen ist, um die Finsternis der Welt zu zerstreuen, dass viele Menschen das je- doch nicht begriffen haben, dass viele das nicht haben begreifen wollen und die Finsternis mehr geliebt haben als das Licht.

Wiederholt begegnet uns Christus in der Symbolsprache dieses Evangeliums, aber auch sonst in der Symbolsprache der Heiligen Schrift als das Licht, näherhin, wohl im Unterschied zu den Irrlichtern, als das wahre Licht.

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Das Licht hat eine doppelte Bedeutung: Es zeigt uns den Weg in der Dunkelheit, im Licht können wir die Dinge erkennen, wie sie sind, das Licht steht für die Wahrheit, für die Wirk- lichkeit, wie sie ist. Zugleich bedeutet es aber auch Leben, denn das Licht leuchtet nicht nur, es erwärmt auch - von daher steht es auch für die Liebe. Also: Das Licht leuchtet nicht nur, es erwärmt auch, wo aber Wärme ist, da kann sich Leben entfalten, in der Kälte gedeiht nur der Tod. Wie das Licht die Wahrheit und das Leben symbolisiert, so symbolisiert die Finster- nis den Irrtum und die Lüge sowie die Kälte und den Tod.

Wenn unser Evangelium heute Christus als das Licht bezeichnet und wenn wir ihn demge- mäß als die Sonne, als die wahre Sonne, bezeichnen, wird somit ausgesagt, dass er der In- begriff der Wahrheit und des Lebens ist, dass er uns die reine Wahrheit lehrt und dass er uns das wahre Leben schenkt, dass wir somit allein in ihm die Finsternis des Geistes und der Herzen überwinden können. Die Überwindung der Finsternis des Geistes und der Herzen, das ist gerade heute von besonderer Aktualität.

Die Weihnachtskerzen und die leuchtenden Weihnachtssterne und die vielen hellen Lichter, die wir in diesen Tagen anzünden, ursprünglich sind sie gedacht als Sinnbilder für Christus, der alle Dunkelheit vertreibt, die Dunkelheit um uns und in uns, wenn wir uns ihm als dem anvertrauen, der die Finsternis unseres Geistes und unserer Herzen überwindet, alle Not der Lüge und des Irrtums, alle Kälte und alle Einsamkeit, und der uns das wahre Leben bringt. Heute haben die Lichter jedoch vielfach eine andere Bedeutung bekommen, oder - im Grunde - jede Bedeutung verloren. Denn viele sind es, die die Finsternis nicht mehr als sol- che erkennen, ja, die die Finsternis für das Licht und das Licht für die Finsternis halten. Ja, viele sind es heute, die die Lüge für die Wahrheit und den Tod für das Leben halten.

Das ist nicht ganz neu, schon vor 2000 Jahren war es so, das bringt unser Evangelium zum Ausdruck, wenn es feststellt: Das Licht kam in die Welt, aber die Welt hat es nicht erkannt (Joh 1, 9-11). Heute wiederholt sich diese Verblendung jedoch in einem geradezu giganti- schen Ausmaß. 

Verständlich ist das, denn die Wahrheit ist unbequem, die Lüge ist angenehm. Und das Le- ben, das Christus bringt, fordert uns, es fordert unseren ganzen Einsatz im Unterschied zu dem, was die Welt das Leben nennt.

Viele suchen daher die Scheinwahrheit und das scheinbare Leben, verschreiben sich der Lüge und verfehlen das wahre Leben. Sie verschmähen Christus und seine Kirche und set- zen ihr Vertrauen auf jene, die sie hinter der Maske des Wohlwollens ins zeitliche und ewige Unglück locken.

Viele verschließen die Augen vor dem Licht der Offenbarung, das Christus ist, und erwarten das Heil von der Finsternis. Das geschieht etwa da, wo wir uns auflehnen gegen den Nach- folger des heiligen Petrus, wo wir die Botschaft der Kirche nach unserem eigenen Ge- schmack und nach unserem eigenen Gutdünken zurechtstutzen, wo wir mit unseren „klu- gen“ Einfällen die Lehre der Kirche korrigieren, wo wir die Warnungen Jesu vor der ewigen Verdammnis in den Wind schlagen, wo wir die Heiligung des Sonntags auf die leichte Schul- ter nehmen und das Gebot des sonntäglichen Kirchgangs nicht mehr ernst nehmen, wo wir die Gefahren des kritiklosen Fernsehens bagatellisieren, wo wir dem Fernsehschirm die Er- ziehung der Kinder überlassen, wo wir die Maßstäbe unseres Lebens von der öffentlichen Meinung, von den Meinungsmachern, her beziehen, wo wir uns die Keuschheit vor der Ehe und die Treue in der Ehe madig machen lassen, wo wir die Eucharistie entehren und wo wir die unsterbliche Geistseele des Menschen leugnen und das letzte Gericht zur Vollendung aller umdeuten.

Wir könnten die Reihe solcher Verfälschungen der Botschaft der Kirche beinahe bis ins Un- endliche fortsetzen und noch viele weitere Beispiele bringen, in denen wir die Lüge anstelle der Wahrheit und den Tod anstelle des Lebens wählen, in denen wir die Finsternis mehr lieben als das Licht, in denen wir die Dunkelheit für das Licht und das Licht für die Dunkelheit halten, in denen wir das Licht von Bethlehem nicht mehr als solches erkennen.

Nun wird manch einer sich, wenn er dieser Deutung der kirchlichen Wirklichkeit folgt, ent- schuldigen und erklären: Da ist doch niemand, der uns das Licht zeigt. Das ist sicherlich übertrieben, aber ganz von der Hand zu weisen ist diese Entschuldigung nicht, denn tatsäch- lich ist es heute oftmals so, dass die, deren Amt es ist, uns das Licht, das Christus ist, und die Wahrheit, die er uns bringt, zu zeigen, dieser Aufgabe nicht nachkommen, deshalb nicht, weil sie bequem oder weil sie verwirrt sind oder weil sie Angst haben vor den Menschen.

Dieser Zustand ist nicht ganz neu. Über einen solchen klagt schon der Kirchenvater Augusti- nus von Hippo, der im Jahre 430 gestorben ist, wenn er von den Mietlingen spricht, die nicht ihrer Hirtenaufgabe im Dienste des guten Hirten Christus nachkommen. Ja, Christus selber hat diesen Tatbestand bereits angesprochen.

Unsere Entschuldigung verliert jedoch an Gewicht, wenn wir daran denken, dass das Gesetz Gottes uns letztlich ins Herz geschrieben ist (vgl. Rö 2, 15). Wer sehen will, kann sehen, wer das Licht erkennen will, der kann es erkennen. Das gilt jedenfalls im Allgemeinen. Sehen und erkennen können wir allerdings nur dann, wenn wir uns nicht dem Zeitgeist und der to- talen Verweltlichung unserer Zeit überantwortet haben, wenn wir uns nicht der Welt hörig gemacht und uns mit ihr identifiziert haben, wenn wir der Welt nicht gleichförmig  geworden sind, wie es im Römerbrief heißt (vgl. Rö 12, 2). Mit anderen Worten: Sehen und erkennen können wir nur dann, wenn wir uns den tiefen Sinn des Jesus-Wortes klar machen, dass wir zwar in dieser Welt, dass wir aber nicht von dieser Welt sind (Joh 15, 14; 17, 19), und wenn wir uns dieses Wort zu Eigen machen.

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Nicht nur im heutigen Evangelium wird Christus als das Licht der Welt bezeichnet. Auch sonst ist das immer wieder der Fall in der Heiligen Schrift. Diese Symbolik tritt besonders an den weihnachtlichen Tagen in den liturgischen Texten hervor. Der in Bethlehem Geborene ist deshalb das Licht für uns und für die Welt, weil er uns die Wahrheit zeigt und weil er uns das Leben schenkt, das wahre Leben. In ihm und in der Botschaft seiner Kirche erkennen wir die Wahrheit und den Weg zum Leben. Dieser Weg muss uns über kurz oder lang in den Konflikt mit der Welt führen, wenigstens partiell. Das ist deshalb so, weil die Welt heftig reagiert, wo immer ihr die Maske vom Gesicht gerissen wird, wo immer ihre Finsternis als Finsternis bezeichnet wird. Amen.

 

PREDIGT ZUM HOCHFEST DER GOTTESMUTTER MARIA AM NEUJAHRSTAG, GEHALTEN AM 1. JANUAR 2009 IN FREIBURG, ST. MARTIN

„LEHRE UNS, UNSERE TAGE ZU ZÄHLEN, DAMIT WIR
EIN WEISES HERZ GEWINNEN“

Während heute in aller Welt der erste Tag des neuen Jahres 2009 begangen wird, feiern wir in der Kirche den 8. Tag des Weihnachtsfestes, begehen wir das Weihnachtsfest gleichsam noch ein zweites Mal. Dieses Mal feiern wir es jedoch unter einem anderen Aspekt: Während vor einer Woche das göttliche Kind im Vordergrund stand, geht es heute mehr um die Mutter dieses Kindes. Über beide Inhalte dieses Tages wollen wir nachdenken heute morgen, über den weltlichen und über den religiösen Inhalt dieses Tages. Dabei ist indessen, wie wir sehen werden, auch der weltliche Inhalt letztlich religiöser Natur.

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Von heute an schreiben wir nicht mehr 2008, sondern 2009. Das Jahr 2008 ist zu Ende. Es kommt nie mehr wieder. Endgültig gehört es der Vergangenheit an. Wie das Jahr 2008 nun für immer der Vergangenheit angehört, so werden auch wir mit unserem menschlichen Da- sein einmal der Vergangenheit angehören, endgültig, ein jeder von uns. Und einmal beginnt jeder von uns sein letztes Jahr. Dabei weiß niemand, ob das letzte Jahr für ihn nicht schon heute beginnt, ob auf seinem Grabstein einmal das Jahr 2009 oder ein anderes vermerkt sein wird. Unser Leben geht einmal zu Ende, unwiderruflich. Der Tod ist gewiss, die Zeit ist kurz, und die Ewigkeit ist lang. Wir leben nur einmal. Und es kommt die Nacht, in der nie- mand mehr wirken kann (vgl. Joh 9, 4).

Darum muss der Beginn des neuen Jahres uns nachdenklich machen. Der Beginn eines je- den neuen Jahres muss uns nachdenklich machen. In 90. Psalm beten wir: „Herr, lehre uns, unsere Tage zu zählen, damit wir ein weises Herz gewinnen” (Ps 90, 12). Wir tun gut daran und verhalten uns recht, wenn wir unsere Vergänglichkeit immer vor Augen haben und da- bei vor allem die Gewissheit des Dass und die Ungewissheit des Wann unseres Endes be- denken, damit wir weise werden, damit aber auch wachsam. Weise ist man nicht, wenn man viel weiß, sondern wenn man weiß, worauf es ankommt im Leben.

Unsere Öffentlichkeit - zuweilen folgt ihr darin auch gar die kirchliche Öffentlichkeit, nach- dem man sich zur Welt und zum Menschen, wie man sagt, bekehrt hat - unsere Öffentlichkeit müht sich erfolgreich, uns den Gedanken an unsere Vergänglichkeit vergessen zu machen. Sie tut damit genau das, was die Heilige Schrift immer wieder vorausverkündet und wovor sie uns immer wieder gewarnt hat. Die Gottlosen verabscheuen nichts mehr als das Nach- denken, sie verabscheuen nichts mehr, als über die Vergänglichkeit unserer Welt nachzu- denken.

Es ist töricht zu sagen: Ich bin noch jung! Ich habe noch Zeit! Auch junge Menschen können sterben  und die Reihenfolge richtet sich nicht immer nach der Anzahl der Lebensjahre. Und zuweilen können auch sehr alte Leute lange auf den Tod warten. Wir wissen: Nicht selten kommt der Tod unverhofft. Aber wenn er kommt, so folgt ihm das Gericht. Das ist so sicher, wie das Amen am Ende des Vaterunsers.

Daher leben wir, wenn wir weise sind, verantwortlich, nehmen wir unsere Verantwortung wahr, die wir haben vor Gott und vor den Menschen und vor uns selber. Eigentlich muss un- sere Rechnung jeden Abend stimmen, weil das Ende ungewiss ist. Wie ein kluger Kaufmann, so sollten wir jeden Abend die Bilanz machen.

Gott ist barmherzig, gewiss. Aber er ist auch gerecht. Er belohnt das Gute, und er bestraft das Böse. Gott belohnt das Gute, und er bestraft das Böse: Diese elementare Glaubenswahr- heit muss heute nachdrücklich betont werden, weil sie wohlweislich von den professionellen Lehrern des Glaubens vielfach unterschlagen wird, wohlweislich, weil sie die Zustimmung der Menschen wollen, weil sie Anerkennung wollen und nicht als weltfremd bezeichnet werden wollen.

Im Blick auf die Ewigkeit müssen an erster Stelle unsere Pflichten gegen Gott stehen, die täglichen Gebete und die Heiligung des Sonntags. - Das Sprichwort sagt: „Wie dein Sonn- tag, so dein Sterbetag“. Wenn wir Gott die Ehre geben, dann werden wir uns auch recht zu verhalten wissen gegenüber seinen Geschöpfen und gegenüber seiner Schöpfung.

Das neue Jahr, an dessen Anfang wir nun stehen, und überhaupt die Abfolge der Jahre, in der uns, wenn wir nachdenken, unsere Vergänglichkeit zum Bewusstsein kommt, sollte uns, muss uns und darf uns aber auch mit Vertrauen erfüllen. Wir dürfen Gott unseren Vater nen- nen. Gott führt uns, wenn wir uns seiner Führung anvertrauen. Er bewahrt uns vor Schaden, vor allem Schaden, wenn wir auf ihn hoffen und seine Gebote achten und erfüllen. Vor allem hilft er uns dann, dass wir den Prüfungen gewachsen sind, die über uns kommen.

Im Rückblick auf das vergangene Jahr dürfen wir es aber auch nicht unterlassen, Gott zu danken für das Gute, das wir von ihm empfangen haben. „Jede gute Gabe steigt herab vom Vater der Lichter“, heißt es im Jakobusbrief (Jak 1, 17).

Dabei erweist sich bei tieferem Nachdenken vieles als gut, das wir zunächst anders beur- teilen, und es erweist sich bei tieferem Nachdenken, dass wir vieles als selbstverständlich nehmen, was durchaus nicht selbstverständlich ist. Allein schon die Tatsache, dass wir diese Stunde erleben, ist ein Geschenk.

Wir beginnen das bürgerliche Jahr am Oktavtag von Weihnachten mit dem Hochfest der Mut- terschaft Mariens. Wir feiern an diesem Festtag die Geburt des Sohnes Gottes im Fleisch durch eine menschliche Mutter und richten den Blick auf die Mutter des göttlichen Kindes von Bethlehem. Sie, die Mutter des göttlichen Kindes von Bethlehem, ist zugleich die Mutter der Kirche und die Mutter eines jeden von uns. Sie ist die Mutter des fortlebenden Christus und all jener, die zu Christus gehören. Seit 2000 Jahren wird sie in der Kirche verehrt. Die Verehrung Mariens ist ein bedeutendes Kapital für die Kirche. Es sind nicht wenige Konver- titen, die von der Marienverehrung her den Anstoß erhielten, katholisch zu werden, die heu- te zurückbleiben, weil sich auch hier die Kirche in ungesunden Extremen darstellt, wenn die einen die Marienverehrung vollständig ablehnen und die anderen sie in abergläubischen Praktiken verwirklichen.

Die gesunde Verehrung Mariens macht den Glauben der Kirche gemüthaft, sie unterstreicht seine Erlebnisqualität, sie nimmt ihm das Abstrakte und das Theoretische und erweist sich dem, der sich um sie bemüht, als eine wunderbare Antwort auf die tiefste Sehnsucht unseres menschlichen Herzens.

In der Marienverehrung, im Blick auf Maria, finden wir Geborgenheit im Glauben und in der Kirche. Wenn wir in Maria unsere Mutter erkennen und sie im Gebet verehren, so können wir zuversichtlich nicht nur durch dieses neue Jahr, sondern durch alle Jahre unseres Le- bens hindurchgehen, die Gott uns schenkt. An der Hand der Mutter braucht sich das Kind nicht zu fürchten.

Maria bereitet uns, wie es in einem alten marianischen Hymnus heißt, den sicheren Weg. Wenn wir mit ihr Gemeinschaft haben, brauchen wir uns nicht zu fürchten, mag die Zukunft, der wir entgegengehen, auch noch so unsicher sein. Und sie ist unsicher, das dürfen wir uns nicht verhehlen, politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich und auch kirchlich. Rosig ist sie nicht, unsere Zukunft, deshalb nicht, weil Gott immer mehr aus dem Herzen der Menschen entschwindet. Das ist der tiefere Grund für die Unsicherheit, die unser Leben heute be- stimmt. Eine Welt ohne Gott wird zur Hölle für die Menschen. Sie befreit den Menschen nicht, wie man oft behauptet, sondern sie versklavt ihn. Der Teufel ist immer totalitär und in- tolerant, was er freilich stets verschleiert, wie er überhaupt und in allem von der Lüge lebt und deshalb stets an der Lüge erkennbar ist, an der verschleierten Lüge.

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In dieser Stunde, da wir an der Schwelle eines neuen bürgerlichen Jahres stehen, kommt uns unsere Vergänglichkeit zum Bewusstsein, werden wir daran erinnert, dass wir ver- antwortlich und wachsam zu leben haben, dass wir aber gleichzeitig auch vertrauensvoll unsere Sorgen auf den Herrn werfen dürfen, der mit uns ist, wenn wir ihn nicht verlassen. In dieser Stunde werden wir auch daran erinnert, dass wir es nicht unterlassen dürfen, dankbar die Wohltaten Gottes zu preisen. Das neue Jahr, das wir heute beginnen, gereicht uns zum Segen, wenn wir es an der Hand der Mutter Jesu beginnen, wenn wir uns mit ihr verbünden und alle Tage auf sie schauen, ihr Beispiel nachahmen und uns unter ihren Schutzmantel begeben. Die Ehre der Mutter ist die Ehre des Sohnes: Wer sie ehrt, ehrt den Sohn. Durch die Gnade Gottes wurde sie das höchste aller Geschöpfe, und sie steht ganz im göttlichen Licht. Wenn sie mit uns ist, so ist Gott mit uns. Per Mariam ad Jesu. Maria führt uns zu ihrem Sohn. Amen.

 

PREDIGT ZUM FEST DER HEILIGEN FAMILIE, GEHALTEN AM 28. DEZEMBER 2008
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„ÜBER ALLES HABT DIE LIEBE, SIE IST DAS BAND
DER VOLLKOMMENHEIT“

Der Sohn Gottes wird in eine Familie hineingeboren. Und von den dreiunddreißig Jahren seines irdischen Lebens verbringt er in ihr dreißig Jahre, sein sprichwörtlich verborgenes Le- ben in Nazareth. In diesen Jahren ist er, das betont das Lukas-Evangelium, seinen mensch- lichen Eltern gehorsam. „Er war ihnen untertan“, heißt es da (Lk 2, 51). Das ist schon beina- he alles, was wir aus dieser Zeit erfahren. Aber wir gehen nicht fehl, wenn wir davon ausge- hen, dass das Leben der Heiligen Familie geprägt war vom Gebet und von selbstlosem Mit- einander.

Gott musste nicht diesen Weg wählen. Er hätte auch als erwachsener Mensch in diese Welt eintreten können, um seine Mission zu erfüllen. So hätte es sich unsere menschliche Phan- tasie vielleicht erdacht, so hätte sich die Menschwerdung Gottes vielleicht im Mythos darge- stellt. Allein, der wirkliche Gott, er geht oft ganz andere Wege, als wir es erwarten.

Indem Gott den Weg in diese Welt über eine Familie gewählt hat, hat er die Familie als In- stitution, die er selber begründet hat am Anfang der Menschheit, in spezifischer Weise ge- heiligt und uns ein Beispiel gegeben, das heißt: hat er uns gezeigt, dass und wie wir in ihr leben sollen. Die Familie von Nazareth sollte nach dem Willen Gottes künftighin idealer Wei- se das Modell aller Familien und, mehr noch, aller Gemeinschaften der Menschen sein.  

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Die Bedeutung die Familie für die Kirche und für das gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen hat im 19. Jahrhundert mit besonderer Klarheit der selige Adolf Kolping erkannt, wenn er die gesunde Familie als das Zentrum seiner priesterlichen Tätigkeit bei den jungen Menschen betrachtet hat. Er hat das kühne Wort geprägt: „Die Rettung des Menschenge- schlechtes fängt an bei der Familie“. So konnte er sprechen, weil er wusste, dass, wenn die Familie intakt ist, der Staat und die Gesellschaft im Lot sind, und dass die Familie der Hort der Freiheit und der Menschlichkeit ist. Heute ist sie in eine tiefe Krise hineingeraten, die Fa- milie, heute unterliegt dir einem verhängnisvollen Auflösungsprozess, in unserem Land, aber auch in vielen anderen Ländern. Auf der einen Seite zerfällt sie, auf der anderen Seite wird sie bewusst zerstört. Jene, die die Familie bewusst zerstören, sehen in diesem Zerstö- rungswerk ein wirksames Mittel, eine neue Gesellschaftsordnung herbeizuführen, auf der Basis des Marxismus oder auf der Basis des New Age, wobei diese zwei Konzeptionen im Grunde gar nicht so weit auseinander liegen. Man weiß in diesen Kreisen, welche grundle- gende Bedeutung die Familie, die Keimzelle der menschlichen Gesellschaft, als Urgemein- schaft für den Staat, für die Gesellschaft und auch für die Kirche hat und welche unausdenk- baren Folgen es hat, wenn sie zerstört wird. Mit Hilfe der Zerstörung der Familie will man eine alte, angeblich überholte Gesellschaft niederreißen, um eine neue, eine vermeintlich bessere, an ihre Stelle zu setzen. Die Mittel, die man einsetzt, sind vor allem die Sexualisie- rung des öffentlichen Lebens, die Verführung der Jugend bereits im Kindesalter, die so ge- nannte Konfliktpädagogik, die aufdringliche Homo - Ideologie und die, wie man es nennt, Al- ternativmodelle zur Ehe. Viele machen mit, denn das Programm ist attraktiv, auch für sol- che, die die Ideologie der Drahtzieher nicht bejahen. Sie machen mit, weil sie nicht tiefer nachdenken oder weil sie nicht mehr im Christentum verwurzelt sind.

Zeichen des verhängnisvollen Niedergangs der Ehe sind die Häufigkeit und die Propagie- rung von Ehescheidung, eheloses Zusammenleben der Geschlechter, voreheliche Beziehun- gen, Kinderfeindlichkeit und Abtreibung. Faktisch erleben wir es, dass einerseits die Zahl der Ehescheidungen größer ist als je zuvor und dass andererseits die Zahl derer ins Ungeme- ssene wächst, die erst gar keine Ehe mehr eingehen. Die Krise der Familie, egal, ob sie sich natürlicherweise entwickelt hat, oder ob sie künstlich herbeigeführt worden ist, sie ist im Grunde eine Katastrophe.

Es gibt kaum eine Familie, die heranwachsende Kinder hat, die das nicht in irgendeiner Weise leidvoll zu spüren bekommt. Auflehnung gegen die Eltern, Abwendung von der Fami- lie, Missachtung der ethischen und religiösen Werte, die den Eltern heilig sind, das alles sind alltägliche Erscheinungen geworden.

Über die Krise der Familie braucht man sich nicht zu wundern, wenn man es registriert, dass Gott heute immer mehr aus der Öffentlichkeit vertrieben wird. Wo Gott nichts mehr zu sagen hat, da gehen alle Maßstäbe verloren, da geht auch die Familie zugrunde, notwendigerwei- se, da können aber auch mit Leichtigkeit jene das Heft an sich reißen, die es auf bewusst die Zerstörung der Familie abgesehen haben. Deshalb legt man ungestraft Hand an das unge- borene menschliche Leben, deshalb zählen die alten Leute nur noch wenig in der öffentli- chen Meinung, deshalb wird der Mensch zynisch manipuliert in den Massenmedien und in der Reklame, deshalb ist die öffentliche Schamlosigkeit kaum noch zu steigern und deshalb wird die Menschenwürde in immer neuen Variationen mit Füßen getreten. Deshalb wird durch die Konflikttheorie und durch die Emanzipationsideologie der Gesellschaftsverände- rer die Saat des Unfriedens in die Familien hineingetragen, wobei man sich nicht selten der Schulbücher oder der außerschulischen Jugendarbeit bedient, ja, wobei man zuweilen gar die kirchliche Jugendarbeit in Dienst nimmt.

Daraus folgt, dass es ungerecht wäre, würde man den Eltern die Hauptschuld an der Misere der Familie zuschreiben. In Einzelfällen mag das zutreffen, aber nicht allgemein. Im Allgemeinen ist es die öffentliche Atmosphäre, die sich hier auswirkt. Weithin ist die Luft vergiftet, die wir einat- men.

Aber was ist da zu tun? Das ist hier die Frage. Wenn das Auto ins Schleudern kommt, darf man nicht die Nerven verlieren, dann muss man vielmehr geduldig und umsichtig gegen- steuern. Das heißt: Wenn wir gläubige Christen sind, müssen wir den Mut haben, uns gegen den Ungeist der Zeit zu stellen und ihn in seiner Hohlheit und Verlogenheit zu entlarven, auch wenn er sich fortschrittlich gebärdet. Das Leitbild für unsere Familien ist die Familie von Nazareth. Darum müssen Liebe und Gehorsam das Gesetz unserer Familien sein, Liebe, wie sie die (zweite) Lesung heute beschreibt, und Gehorsam, wie Christus ihn in seinen Er- dentagen uns vorgelebt hat, als Gehorsam gegenüber seinen irdischen Eltern und gegen- über dem Willen seines himmlischen Vaters.

Zur Liebe gehört aber das Opfer. Das dürfen wir nicht vergessen. In einer Familie, die nur dem Vergnügen lebt, kann sich keine Liebe entfalten. Eine solche Familie wird zu einem Nebeneinander von Egoisten, in ihr nehmen die Spannungen überhand, notwendiger Weise. Darum muss das Opfer ein wichtiger Faktor der Erziehung sein, und zwar von Anfang an.

Die Liebe und der Gehorsam müssen ergänzt werden durch die Gegenwart Christi in unse- ren Familien. Auch davon spricht die (zweite) Lesung. Psalmen, Hymnen und geistliche Lie- der sind wichtiger als das tägliche Brot, vor allem sind sie wichtiger als das Fernsehen, das nicht selten das Familiengebet und darüber hinaus die Familiengemeinschaft zerstört. Das Gebet führt die Familie zusammen wie kein anderes Mittel, auch in späteren Jahren, wenn die Kinder bereits auf eigenen Füßen stehen. Das Gebet ist aber auch das Mittel, das den El- tern eine verlorene Tochter oder einen verlorenen Sohn zurückbringt. So war es bei Moni- ka, der Mutter des Augustinus, der vor über 1500 Jahren dank der Tränen und des Gebetes seiner Mutter nach vielen Irrwegen ein Heiliger und einer der größten Lehrer der Kirche geworden ist.

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Geordnete und gesunde Familien sind eine Frage, die uns alle angeht. Wo die Familie zer- stört wird, da wird der Mensch in seinem Menschsein zerstört und zugrunde gerichtet. In dem Bemühen um die Familie geht es um die Rettung des Menschen, damit aber um eine menschliche Zukunft für alle. Es gibt keine grundlegendere Aufgabe für den Einzelnen wie auch für die Kirche als den Einsatz für die Familie. Sie ist eine echte Gewissensfrage. Es gilt, dass wir dem Ungeist der Zeit gegensteuern und dass wir uns für eine gute familienfreund- liche Atmosphäre einsetzen. Stets bauen die Tyrannen auf die Zerstörung der Familie, und die Zerstörung der Familie führt letztlich stets in die Tyrannei. Unsere Hoffnung ist die Hei- lige Familie von Nazareth. Die tragenden Säulen der intakten Familie, der Familie, die sich an der Familie von Nazareth orientiert, sind Liebe und Gehorsam und vor allem die Gottes- furcht und das Gebet. Amen.

 

PREDIGT ZUM FESTTAG DES HEILIGEN STEPHANUS AM 2. WEIHNACHTSTAG,GEHALTEN
AM 26. DEZEMBER 2008 IN FREIBURG, ST. MARTIN

„ALLEN ABER, DIE IHN AUFNAHMEN, GAB ER MACHT, KINDER GOTTES
ZU WERDEN“

Der heilige Augustinus hat vor 1500 Jahren das Geheimnis der Menschwerdung Gottes mit einem kühnen Satz gedeutet, wenn er in seinem Psalmenkommentar erklärt hat: „Gott wur- de ein Mensch, damit der Mensch Gott werden könnte, somit sind wir Menschen Götter ge- worden“ (Enarrationes in Psalmos 49, 2). Damit knüpft er an eine bedeutende Aussage des 2. Petrusbriefes an, in der es heißt, dass wir Menschen durch die Erlösung der göttlichen Natur teilhaftig geworden sind (2 Petr 1, 4). In einer Weihnachtspredigt wiederholt der heilige Augustinus diesen Gedanken, wenn er bemerkt: „Gott will dich zum Gott machen. Denn Gott wurde von einer menschlichen Mutter geboren, damit wir aus Gott geboren werden könn- ten“ (Augustinus, Homilia 189, 3). In diesem Sinne nennt er die Menschwerdung Gottes einen wunderbaren Tausch. Von diesem wunderbaren Tausch ist immer wieder die Rede bei den Kirchenvätern. Gott wurde ein Menschenkind, so stellen sie fest, damit wir Gotteskinder werden könnten. Sie variieren damit einen Gedanken aus dem Weihnachtsevangelium des Johannes-Evangelisten: „Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden“. Der wunderbare Tausch ist eines der Grundmotive der Weihnachtsliturgie. Im Ga- bengebet der Heiligen Nacht beten wir: „Allmächtiger Gott, in dieser heiligen Nacht bringen wir dir unsere Gaben dar. Nimm sie an und gib, dass wir durch den wunderbaren Tausch deinem Sohn gleich gestaltet werden, in dem unsere menschliche Natur mit deinem göttli- chen Wesen vereint ist“.

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Von der Gnade der Gotteskindschaft ist oft die Rede in der Heiligen Schrift, davon, dass Gott  ein Menschenkind geworden ist, damit wir Gotteskinder werden könnten. Unsere Gottes- kindschaft ist das innerste Geheimnis unserer Erlösung. Durch die Zuwendung Gottes zum Menschen wurden wir, die wir Knechte waren, Söhne und Töchter Gottes, nicht im Sinne einer Adoption, die ist nämlich nur rechtlicher Natur, sondern im Sinne einer Verwandlung, im Sinne einer neuen Geburt. Das begann in der Menschwerdung Gottes. Sie ist der erste Schritt zur Erlösung des Menschen.

Gott wollte uns in seine Familie aufnehmen, er wollte vertrauten Umgang mit uns pflegen. Dazu musste er den unendlichen Abstand zwischen ihm und uns aufheben, dazu musste er uns erheben, musste er uns zu sich emporziehen und uns an seinem göttlichen Leben Anteil geben.

Wollte der Mensch etwa mit dem Tier wirkliche Gemeinschaft haben, so müsste er ihm eine menschliche Natur schenken, was natürlich nicht möglich ist. Der Mensch kann den Abstand zwischen sich und den Tier nicht aufheben. Was der Mensch aber nicht kann, Gott kann es. Wirkliche Gemeinschaft kann der Mensch nur mit Gott haben, wenn dieser ihm eine gött- liche Natur schenkt, wenn dieser ihn teilhaben lässt an seinem göttlichen Leben. Das aber kann Gott, und das hat er getan. Die göttliche Natur, die Voraussetzung für unsere Gottes- kindschaft, oder das göttliche Leben in uns nennen wir auch die heiligmachende Gnade. Gott wurde ein Mensch, damit der Mensch vergöttlicht werde. Das ist mit dem wunderbaren Tausch gemeint.

Gott kam zu uns, um uns zu erlösen, um uns an Kindes Statt anzunehmen, um uns der göttli- chen Natur teilhaftig zu machen, um uns das göttliche Leben zu schenken. Unter diesem Aspekt kann der heilige Augustinus den Erlösten zurufen: Ihr seid nicht mehr Menschen, son- dern Götter. Das ist hyperbolisch gemeint, da wird ein richtiger Gedanken überspitzt, um unsere Aufmerksamkeit zu wecken. Ein beredter Ausdruck unserer Gotteskindschaft ist die Vateranrede gegenüber Gott, die Jesus uns zu verwenden gelehrt hat.

Allein, die heiligmachende Gnade, das göttliche Leben, das uns in der Taufe zugewendet wird, ist nicht ein unverlierbarer Besitz für uns. Es geht verloren in der schweren Sünde. Wir können es nur erhalten und bewahren, wenn wir, allgemein gesprochen, den menschgewor- denen Gott aufnehmen, nicht nur in Worten, sondern auch in Taten. Der uns ohne uns erlöst hat, er wollte uns nicht ohne uns retten, so betont der heilige Augustinus (Augustinus, Sermo 169, 11, 3). Gott hat uns die Freiheit gegeben, und er erspart uns nicht ihren Gebrauch. Damit wir das göttliche Leben wiedergewinnen können, wenn wir es verloren haben, deswegen hat uns Christus das Bußsakrament geschenkt. Da wir dieses Sakrament nun einmal haben, dient es uns auch zur Vertiefung und Ausweitung dieses Lebens.

Bewahren können wir es nur dann, das göttliche Leben, wenn wir jeden Tag aufs Neue das Kind von Bethlehem, den Herrscher über Himmel und Erde, den verborgenen Gott in dem Sinne aufnehmen, dass er prägend und bestimmend ist für unser Leben. Dabei gilt, dass wir nur dann Gott mit Recht unseren Vater nennen dürfen, wenn wir im Besitz des göttlichen Lebens sind.

Daher ist es ungenau, wenn wir, wie es oft geschieht, sagen: Alle Menschen sind Kinder Gottes. Richtiger muss es heißen: Alle Menschen sollen Gottes Kinder sein, oder sie sollen es werden. Ob sie es sind, das weiß Gott allein.

Ob wir selber in der Gnade leben, das wissen wir. Das muss unsere erste Sorge sein. Die Heilige Schrift spricht von dem “einen Notwendigen” (Lk 10, 42). Bewahren wir diese Gnade bis zu letzten Stunde, wird sie uns zur Grundlage des ewigen Lebens.

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Papst Leo der Große - er lebte um die Mitte des 5. Jahrhunderts, er war ein jüngerer Zeitge- nosse des heiligen Augustinus - sagt in einer Weihnachtspredigt, die uns überkommen ist: Wo der Geburtstag des Lebens gefeiert wird, da ist kein Raum für Traurigkeit. Weihnachten ist der Geburtstag des göttlichen Lebens in uns, das uns in der Taufe zum ersten Mal ge- schenkt wurde und das uns im Bußsakrament erneut zuteil wird. Wenn wir es im Leben be- wahren und mit ihm die Schwelle des Todes überschreiten, führt es uns in die selige Ge- meinschaft mit Gott.

Wenn wir das göttliche Leben in uns tragen, ist der Tod entmachtet, wie das uns eindrucks- voll im Sterben des ersten Märtyrers der Kirche, des heiligen Stephanus, vor Augen geführt wird. Von ihm heißt es deshalb: Er entschlief im Herrn (Apg 7, 60). Können wir uns etwas Besseres wünschen?

In der Gnade der Gotteskindschaft zu sterben, darauf muss unser Bemühen ein Leben lang gerichtet sein. Von Kindesbeinen an wurden wir gelehrt, im Ave Maria täglich um eine gute Sterbestunde zu beten. Unter diesem Aspekt verehren wir den heiligen Joseph als den Pa- tron der Sterbenden. Amen.

 

PREDIGT ZUM HOCHHEILIGEN WEIHNACHTSFEST, GEHALTEN AM 25. DEZEMBER 2008
IN FREIBURG, ST. MARTIN

 „EUCH IST HEUTE DER HEILAND GEBOREN, WELCHER IST
CHRISTUS, DER HERR“

„Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr“. Mit diesen Worten ver- kündet und deutet ein Engel das Geschehen der Heiligen Nacht den “Hirten, die in jener Ge- gend bei ihren Herden wachten”. Zusammen mit ihnen verkündet und deutet er es auch uns. In den Worten des Engels begegnet uns so etwas wie eine Kurzfassung des gesamten Evan- geliums, der ganzen Botschaft der Kirche, die eine gute, eine frohe Botschaft ist, wie es das griechische Wort „euangelion“ zum Ausdruck bringt. Das in der Botschaft des Engels berich- tete Geschehen ist der Anfang der Kirche und des Christentums.

„Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr“. Wir können diese Bot- schaft nicht recht verstehen, wenn wir nicht ihre Vorgeschichte mit einbeziehen: Die Ge- schichte von der Verlorenheit des Menschen in der Sünde und von der Verheißung der Erlö- sung durch Gott, die das ganze Alte Testament durchzieht. Mit einbeziehen müssen wir aber auch die Nachgeschichte, das, was die Erlösung des Näheren bewirkt hat, den Kreuzweg des Kindes von Bethlehem, seinen Tod und seine Auferstehung.

In der Botschaft von der Geburt des Heilandes, der Christus, der Herr, genannt wird, haben wir gewissermaßen die Klammer zwischen der alttestamentlichen und der neutestamentli- chen Heilsgeschichte.

Der Heiland ist der Heilbringer. Dieser aber ist nicht ein gewöhnlicher Mensch, sondern er ist der Herr. Das heißt: Er sprengt die Fesseln unseres Menschseins, er ist nicht nur ein Mensch, sondern zugleich Gott, identisch mit dem unsagbaren Geheimnis, durch das alles seinen Be- stand hat und das einem jeden von uns sein Dasein verleiht.

Der Begriff „Herr“ war für die Menschen des späten Alten Testamentes die gängige Bezeich- nung für Gott, dessen Namen „Jahwe“ sie zwar niederschrieben, aus übergroßer Ehrfurcht aber nicht auszusprechen wagten. Sie schrieben den Gottesnamen, lasen aber der Herr. So war es auch zur Zeit Jesu in Israel. Von daher ist es nicht verwunderlich, wenn man schon bald nach dem Tod und nach der Auferstehung des Heilandes in Rom und in Griechenland und in Kleinasien konsequent und unbeugsam verkündete: Christus ist der Herr! und ebenso konsequent und unbeugsam bekannte: In ihm hat Gott selber die Menschheit heimgesucht.

Die Weihnachtsbotschaft, die der Engel den Hirten verkündete, enthält somit zwei Gedan- ken: Gott erlöst uns, er rettet uns aus der Verlorenheit der Sünde, dieses Drama beginnt in jener Nacht, die wir die heilige Nacht nennen, und der, durch den die Rettung kam, er war Gott, Gott in der Gestalt eines armen Kindes.

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Die Weihnachtsbotschaft wird den Hirten verkündet, Menschen ohne Obdach, die unter frei- em Himmel die Nacht verbringen, einfachen Menschen, die nicht mit Gütern gesegnet sind. Ihnen gilt diese Botschaft zuerst, nicht allein, aber in erster Linie, den anderen, also auch uns, die wir nicht die Armut der Hirten teilen, gilt sie nur dann, wenn wir uns das Denken und das Fühlen dieser einfachen Menschen bewahrt haben oder wenn wir uns dieses Den- ken und Fühlen zu Eigen machen. Ist es anders, können wir sie gar nicht verstehen, diese Botschaft. Uns gilt die Botschaft nur dann, wenn wir demütig geblieben sind oder wenn wir demütig werden und wenn wir uns die Fähigkeit bewahrt haben oder neu erwerben, in De- mut staunen zu können und wenn wir nicht vergessen haben, dass alles Leid der Welt und alle Not der Zeit in der Sünde wurzelt, in der Trennung des Menschen von Gott, im Hochmut und in der Selbstgefälligkeit der Kreatur, die sich gegen ihren Schöpfer stellt und die sich seiner Autorität entzieht.

Schon an dieser Stelle muss uns klar werden, dass viele Menschen heute zwar Weihnachten feiern - wer würde schon auf ein Fest verzichten -, dass ihr Feiern aber der Grundlage ent- behrt. Deshalb ist es ein So-tun-als-ob, ein frommes oder auch gar nicht mehr frommes The- aterspiel, ein Betrug vor sich selbst und vor anderen. Und wir müssen davon ausgehen, dass der heutige Festtag nicht selten auch bei Kirchenleuten, bei Priestern und Laien im kirch- lichen Dienst, sein Fundament verloren hat und nicht mehr ist als die Erinnerung an einen alten Mythos, von dem sie bestenfalls hoffen, dass er wahr ist.

Es kommt hinzu: Was soll die Erlösung, wenn es keine Ursünde gibt und wenn die Sünde nicht das entscheidende Problem der Menschheit ist, die Sünde und die immer neue Be- kehrung. Dass dem so ist, wer realisiert das noch? Viele von denen, die sich stolz zu den Intellektuellen zählen, realisieren das schon lange nicht mehr.

Das Kind von Bethlehem ist nur dann für uns gekommen als der Heiland, als der Retter, wenn wir uns unserer Sündigkeit bewusst werden, wenn wir allen Hochmut und alle Selbst- gefälligkeit abwerfen und so den Weg Gottes bejahen können, bei dem sich die Macht in der Ohnmacht verbirgt.

Wer die Erlösung nicht glaubt, der kann ihrer nicht teilhaftig werden. Es kommt noch hinzu, dass das Kind von Bethlehem nur dann der Retter für unsere Welt und für unser Leben ist, wenn wir uns von Gott den Weg zeigen zu lassen bereit sind, wenn wir nicht tun, was uns passt, wenn wir nicht leben, wie es uns Spaß macht oder, sagen wir es mit anderen Worten, wenn wir uns nicht dem Diktat der Massenmedien beugen, dem Diktat der Mode, dem Sog des „man sagt“ und dem Sog des „man tut“. 

Das „Euch“ der Engelsbotschaft spricht uns nur dann an, wenn wir nicht längst kapituliert ha- ben vor der Lüge und vor dem „Evangelium der Lust“, vor dem „Evangelium des Hedonis- mus“ - so sagt man es auch - das heute viel mehr und viel einsatzfreudigere Missionare hat als das Evangelium der Wahrheit.

In dem kleinen Kind von Bethlehem rettet uns Gott selber. Das ist der zweite Gedanke, den die Botschaft des Engels von Bethlehem enthält, ein unbegreifliches Geheimnis: Gott wird ein Mensch, und er rettet uns in diesem Geheimnis. Er tut das aber nur dann, wenn wir ihn gläubig darin aufnehmen.

Nicht nur damals wandten sich viele ab, nicht nur damals ließen viele den Gottmenschen gleichsam draußen vor der Tür stehen. So ist es auch heute, auch heute empfinden nicht wenige das Geheimnis der Menschwerdung Gottes als eine Zumutung, heute mehr noch, so möchte man meinen, als in der Jahrhunderte langen Geschichte des Christentums.

Die Zahl derer ist im Wachsen begriffen, die in dem, dessen Geburt wir in der Heiligen Nacht feiern, wohl einen großen Menschen sehen wollen, nicht aber Gott selbst. Wenn er aber nur ein großer Mensch ist, dann ist auch seine Kirche nicht mehr als ein Verein. Auch das mei- nen heute - konsequenterweise - viele, zuweilen gar auch Amtsträger, Priester und Bischöfe. So scheint es jedenfalls. Die Verwirrung ist groß geworden.

Bleiben wir an diesem Punkt stehen, sehen wir in dem, der in Bethlehem geboren wurde, nur einen großen Menschen, tun wir das mit Einsicht und in Freiheit, dann nehmen wir ihn nicht auf, dann ist er für uns umsonst gekommen.

Wenn wir ihn aber als den Sohn Gottes aufnehmen, dann sind wir in Pflicht genommen durch ihn. Dann müssen er und seine Kirche der Maßstab unseres Lebens sein. Dann kann kein noch so heftiges Begehren, dann kann keine Weisheit dieser Welt, an die Stelle seines Wortes treten. Daher bedeutet diese Aufnahme nicht selten die Feindschaft der Welt, ja, die Feindschaft des eigenen Ich mit seinen ungeordneten Wünschen und das Brechen mit lieb gewordenen Gewohnheiten. Wer sich Gott zuwendet, muss sich von der gottwidrigen Welt abwenden.

Das Kind von Bethlehem ist nicht nur eine süße Idylle. Es ruft in die Krisis, es fordert uns ganz, in einer Entscheidung auf Leben und Tod. Der fromme Dichter Angelus Silesius (+ 1677) drückt das so aus: „Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren” (Angelus Silesius, Cherubinischer Wandersmann, Erstes Buch, Frankfurt/M. 1948, 9 ). 

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Die Botschaft des Engels von Bethlehem ist ein Kompendium des Christentums, so sagten wir, ein Kompendium der Botschaft der Kirche. Sie gilt uns allen als eine Botschaft der Freu- de, sofern wir um die Not der Sünde wissen und demütig von Gott das Heil erwarten, sofern wir uns abwenden von unserem Hochmut und von unserer Selbstgefälligkeit und demütig die Botschaft von der Erlösung vernehmen. Hinzukommt: Das Kind von Bethlehem, der Hei- land der Welt, ist der Herr. Er ist Gott, der Sohn des ewigen Vaters. Nehmen wir ihn auf, nicht als einen großen Menschen, sondern als den Mensch gewordenen Sohn des ewigen Vaters, dann wird er uns einst ein gnädiger Richter sein, denn der, der in Armut und un- scheinbar gekommen ist, der in seinem Tod die konsequente Ablehnung des Menschen auf sich genommen hat, er wird in Herrlichkeit wiederkommen am Ende als der Richter der Welt. Die Botschaft der Heiligen Nacht steht im Zeichen der Freude. Aber diese Freude ist nicht gratis, sie kostet uns die Entscheidung, den Einsatz unserer ganzen Person für das My- sterium der Menschwerdung Gottes. Darum wird der Weihnachtsfriede nur denen verkün- det, die guten Willens sind. Stets geht die wahre Freude aus Schmerzen und Leiden hervor. Amen.

 

PREDIGT ZUM 4. ADVENTSSONNTAG, GEHALTEN IN FREIBURG, ST. MARTIN,
AM 21. DEZEMBER 2008

„DU WIRST DEINEN HEILIGEN NICHT SCHAUEN LASSEN
DIE VERWESUNG“

Wenn wir wirklich Christen sind, wird unser Leben nicht nur durch den Glauben und durch die Liebe bestimmt, sondern auch durch die Hoffnung. Vom Glauben ist häufig die Rede in der Verkündigung der Kirche, von der Liebe noch häufiger, seltener jedoch von der Hoff- nung, obwohl die Heilige Schrift immer wieder von der Hoffnung spricht, an mehr als hun- dert Stellen. Der heilige Paulus definiert die Christen als Menschen der Hoffnung und die Heiden als Menschen, die keine Hoffnung haben (1 Thess 4, 12; Eph2, 12). Die Hoffnung ist der Zukunft zugeordnet. In ihr wartet man auf etwas, das man noch nicht sein Eigen nennt.  „Eine Hoffnung, die man sieht, ist keine Hoffnung“ heißt es im Römerbrief (Rö 8, 24). Die Hoffnung ist das Thema in den Wochen der Adventszeit.

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Der Mensch lebt von der Hoffnung. Ohne die Hoffnung kann er eigentlich nicht existieren. Wenn er nur wenig Hoffnung hat oder wenn er sie gänzlich verloren hat, zerstört er sein Le- ben. Ohne Zukunftsperspektiven geht der Mensch zugrunde. Wer keine Zukunft hat, der re- signiert, der ist mutlos und niedergeschlagen, und am Ende verzweifelt er. Die Verzweiflung ist die letzte Station der Hoffnungslosigkeit.

Dabei müssen wir unterscheiden zwischen einer innerweltlichen Zukunft und einer weltjen- seitigen. Ohne die Erstere kann man nicht leben, ohne die Letztere kann man es, aber nur schwerlich.

Heute wächst die Zahl jener Menschen, die sich mit den irdischen Hoffnungen begnügen, schon lange bilden sie die Mehrheit, nicht nur in der westlichen Welt. Ihre Hoffnung geht auf vordergründige und innerweltliche Güter, auf Gesundheit und ein langes Leben, auf Vergnü- gen, auf Reichtum, auf Macht und Ehre und Ansehen bei den Menschen. Die christliche Hoff- nung sprengt diesen Rahmen. Sie reicht in eine andere Welt hinein, in eine Welt, deren Exi- stenz wir erschließen können, aus der uns zudem eine Kunde zuteil geworden ist in den Schriften des Alten und des Neuen Testamentes.

Der Gegenstand der christlichen Hoffnung ist Gott selber, das Reich Gottes, die Herrschaft Gottes, die Frucht der Menschwerdung des Sohnes Gottes, seines Leidens und seines Ster- bens am Kreuz. Wenn wir wirklich Christen sind, dann ist unser Leben geprägt von der Hoffnung auf das ewige Leben bei Gott. „Du wirst deinen Heiligen nicht schauen lassen die Verwesung“, heißt es im Buch der Psalmen (Ps 15, 9). Die selige Gemeinschaft mit Gott, sie gibt uns mehr als alle irdischen Annehmlichkeiten uns zu geben vermögen.

Die christliche Hoffnung überschreitet unsere sinnenhafte Welt, wesentlich, sie meint aber auch das irdische Glück, ja, sie sieht im jenseitigen Glück den Garanten für das irdische Glück. Sie erwartet auch eine Verbesserung unserer irdischen Verhältnisse, sie richtet sich auch auf den Frieden, auf die Beseitigung aller Missstände in unserer Welt, auf mehr Liebe und Gemeinschaft unter den Menschen und auf die Gerechtigkeit für alle. Sie verschmäht nicht die irdischen Werte, die wir von Natur aus anstreben und erhoffen, aber sie stellt sie in einen anderen Rahmen hinein und ermöglicht damit im Grunde erst ihre Verwirklichung.

Die ewige Gemeinschaft mit Gott, sie ist der Inbegriff unserer Hoffnung. Diese ewige Ge- meinschaft wird sich allerdings als Illusion erweisen, wenn wir nicht mit dem verborgenen Christus durch die Zeit gehen, wenn wir nicht verantwortungsbewusst handeln in unserem Leben und wenn wir an den Geboten Gottes vorbeileben.

Aber auch das ist die Voraussetzung für unsere ewige Gemeinschaft mit Gott, dass wir auch der Kirche die Ehre erweisen, sofern wir wissen um ihre Geheimnishaftigkeit - sie ist der fort- lebende Christus in dieser Welt -, also auch das ist die Voraussetzung für unsere ewige Ge- meinschaft mit Gott, dass wir auf die Kirche hören, dass wir in Ehrfurcht die Sakramente der Kirche empfangen und uns durch sie stärken auf dem Pilgerweg unseres Lebens.

Stets fordert Gott uns mit seinen Geschenken heraus. Er beschenkt uns nur dann, wenn wir uns darum bemühen, dass wir uns seiner Geschenke würdig erweisen. Das ist ein Gedanke der heute oft in der Verkündigung vergessen, vielmals wohl auch bewusst ausgelassen wird. Da machen wir aus der Allwirksamkeit Gottes die Alleinwirksamkeit Gottes, damit wir es be- quemer haben.

Man hat die christliche Hoffnung als die Tugend des „auf dem Wege Seins“ bestimmt, in der der Pilgerstand anerkannt und die Mühe des Weges auf sich genommen wird

Immer muss die Hoffnung realistisch sein, das gilt für die irdische Hoffnung nicht weniger als für die weltjenseitige. Hoffen wir an der Wirklichkeit vorbei, geht unsere Hoffnung ins Leere, findet sie nicht ihre Erfüllung, folgt ihr die Enttäuschung. Das Glück fällt uns nicht in den Schoß, jedenfalls nicht in der Regel. An der realistischen Hoffnung sind der Verstand und der Wille beteiligt. Wer mehr hofft, als er erwarten kann, oder wer hofft, ohne sich für die Er- füllung seiner Hoffnung einzusetzen, der ist vermessen, der Vermessenheit aber folgt die Enttäuschung. Wer weniger hofft, als er erwarten kann, der resigniert, er ist kleinmütig, dem Kleinmut aber folgt die Verzweiflung, im Extremfall.

Beide Fehlhaltungen begegnen uns heute im Hinblick auf die irdischen Hoffnungen wie auch im Hinblick auf die weltjenseitigen. Dabei wächst die Zahl jener, die keine Hoffnung mehr haben, ins Gigantische. Oftmals haben sie zunächst zu viel gehofft, um durch die Ent- täuschungen, durch die sie hindurchgegangen sind, schließlich alle Hoffnung aufzugeben. Deswegen ist ihr Leben von Langeweile und innerer Leere geprägt. Sie fliehen dann oftmals in den vordergründigen Genuss, verschreiben sich den Annehmlichkeiten des Lebens und taumeln von einem Vergnügen in das andere, werden dadurch jedoch immer tiefer in die Resignation und in die Verzweiflung hineingeführt. Die ungeordneten Freuden der Sinn- lichkeit, die Freizügigkeit und Zügellosigkeit verwunden heute die Seelen vieler. Diese ihre Lebenspraxis geht aus der Verzweiflung hervor und führt gleichzeitig tiefer in sie hinein. Der ungläubige Literat Albert Camus (+ 1960) hat einmal geschrieben: „Die zügellose Sexualität führt zu einer Philosophie der Sinnlosigkeit der Welt. Die Keuschheit hingegen verleiht ihr (der Welt) einen Sinn“. Viele leiden heute unter Depressionen. Ihr ungeordnetes Leben hat sie krank gemacht.

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Die christliche Hoffnung mahnt uns zur Wachsamkeit und zur Heiligung des Lebens. Ihre Früchte sind Liebe, Freude, Geduld, Friede, Güte, Langmut, Demut, Bescheidenheit, Enthalt- samkeit und Keuschheit. So sagt es der Galaterbrief: 5, 22. Die Wachsamkeit und die Heili- gung des Lebens, sie sind Ausdruck unserer christlichen Hoffnung, und sie bestärken uns in ihr. Die christliche Hoffnung, in der wir die sinnenhafte Welt überschreiten, relativiert unsere Sorgen, und sie erfüllt uns mit Geduld und Freude in aller Bedrängnis. Amen.

 

PREDIGT ZUM 3. ADVENTSSONNTAG, GEHALTEN AM 14. DEZEMBER 2008 IN
FREIBURG, ST. MARTIN

„BETET OHNE UNTERLASS -
TUT BUSSE, DENN DAS HIMMELREICH IST NAHE“

Johannes der Täufer erklärt der jerusalemischen Gesandtschaft, den Priestern, den Leviten und den Pharisäern: „Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt, der nach mir kommen wird“. Damit beschreibt er unsere Situation nicht weniger als jene seiner damaligen Zuhö- rer: Christus, der kommen wird, er ist bereits verborgen in unserer Welt. Aber warum kennen wir ihn nicht? Warum erkennen wir nicht ihn und sein Wirken? Deshalb, weil wir uns der Diktatur der Säkularisierung unterworfen haben, weil unser Leben so weltlich geworden ist, weil unser Glaube so formalistisch erstarrt ist und weil es uns so sehr an der Innerlichkeit fehlt. Wie aber kann unser Leben wieder innerlich und wie kann unser Glaube wieder le- bendig werden und wie können wir uns von der Diktatur der Säkularisierung befreien? Das ist möglich, wenn und indem wir uns ernstlich um das Gebet bemühen und um den Geist der Buße. Die (zweite) Lesung ermahnt uns heute: „Betet ohne Unterlass“. Und Johannes der Täufer ist die Gestalt gewordene Buße, dabei ist die Buße das entscheidende Thema seiner Verkündigung, in der er gleichsam sein Leben kommentiert. Gebet und Buße! Stattdessen können wir auch von dem Gebet der Worte oder des Herzens und von dem Gebet der Sinne sprechen, das ist nämlich die Buße, ein Gebet der Sinne, der beste Mutterboden des Ge- betes der Worte oder des Herzens.

Damit haben wir zwei Gedanken, über die wir in dieser Morgenstunde eine Weile nachden- ken wollen.

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Die Mahnung der (zweiten) Lesung, ohne Unterlass zu beten, mag uns zunächst übertrieben und auch unrealistisch erscheinen, und doch handelt es sich bei ihr um eine Grundforderung des christlichen Lebens, nicht nur für Einzelne, sondern für alle. Das sagt nicht nur Paulus im ersten Thessalonicherbrief, auch Christus sagt das. Im Lukasevangelium heißt es: „Er lehrte sie in einem Gleichnis, dass sie allezeit beten und darin nicht nachlassen sollten" (18, 1). Aber nicht allein an dieser Stelle begegnet uns die Mahnung Jesu, ohne Unterlass zu beten, wiederholt berichten die Evangelien davon.

Der Glaube ist die Quelle des Betens. Wir müssen den Glauben erwecken, um beten zu kön- nen. Der Glaube ist es, der betet, und das Gebet bewirkt dann, dass der Glaube unwandel- bar und fest wird. So sagt es der berühmte Catechismus Romanus, jener Katechismus, der im Anschluss an das Konzil von Trient zur Norm der Glaubensverkündigung wurde (Cate- chismus Romanus 4, 7, 3).

Unablässig beten können wir nur, wenn wir uns nicht dem lauten Treiben der Welt überla- ssen, wenn wir uns einen Raum der Stille bewahren und wenn wir fest glauben an den, der in unserer Mitte ist, und in der Bereitschaft für ihn leben. Wenn wir darum wissen, dass er uns wie ein guter Freund auf allen Straßen unseres Lebens begleitet - so sagt es einmal die heilige Kirchenlehrerin Theresa von Avila (+ 1582) - , dann werden wir ganz selbstverständ- lich immerfort auch das Gespräch mit ihm suchen, in der Gestalt des mündlichen Gebetes, des inneren Herzensgebetes, das worthaft ist oder wortlos, und in der Gestalt der Stoßgebe- te. Wer unablässig betet, der macht auch seine Arbeit zum Gebet, indem er schon am Mor- gen die gute Meinung macht. Er vernachlässigt nicht seine Aufgaben um des Gebetes willen, er macht diese seine Aufgaben vielmehr zu einem Gebet durch die Worte seiner Gebete und durch seine Gesinnung. Bemühen wir uns darum, dann wird all unser Tun und Lassen, dann werden all unsere Freuden und Leiden zu einem Gebet, auf das Gott mit Wohlgefallen her- abschaut. Der Kolosserbrief drückt das so aus: „Alles, was ihr tut in Worten oder in Werken, das tut alles im Namen des Herrn und danket Gott dem Vater durch ihn“ (3, 17).

Das Zweite, um das wir uns bemühen müssen, um den in unserer Mitte verborgenen Christus zu erkennen, um ihn anzuerkennen und sichtbar zu machen, ist vielleicht noch wichtiger als das Erste. „Wer Gott liebt, sühnt seine Sünden“, heißt es im Buch Jesus Sirach“ (Sir 3, 4). Vor mehr als 450 Jahren erklärt das Konzil von Trient: „Die Buße ist das sicherste Unterpfand für unsere Verherrlichung“ (DS 1690).

Man wird es nicht leugnen können: Seit dem Rückgang des Empfangs des Sakramentes der Buße ist auch der Geist der Buße seltener geworden bei den katholischen Christen. Aber die christliche Berufung ist - in ihrem innersten Kern - eine Berufung zum Opfer, zur Sühne, zur Selbstverleugnung, damit aber zur Buße. Das Christentum ist eine Religion des Opfers. Das zentrale Symbol des Christentums ist das Kreuz. Unser zentraler Gottesdienst ist die kultische Feier des Kreuzesopfers, was wir allzu oft vergessen. Selbstverleugnung und Entsagung sind unverzichtbare und entscheidende Übungen im Christentum. Paulus schreibt einmal: „An un- serem Leibe tragen wir allezeit das Sterben Christi, damit sein Leben an uns offenbar wer- de“ (2 Kor 4, 10). Das eine ist die Bedingung für das andere.

Was uns heute nottut, das ist Strenge gegen uns selbst - aus Liebe zu Gott. So streng wir ge- gen andere sein können, so nachsichtig sind wir im Allgemeinen gegen uns selbst. Gerade die Nachgiebigkeit, die unser Leben heute bestimmt, wir sprechen auch von der Permissi- vität, führt uns weit weg von Christus und seiner Kirche. Die Nachgiebigkeit, sie ist es auch, die die Langeweile und von daher den Ekel und den Überdruss produziert, aus dem sich ein Großteil unserer Aufsässigkeit herleitet, vor allem bei den jungen Leuten.

Daraus ergibt sich die Forderung, dass wir in den kleinen Dingen des Lebens die Abtötung üben im Geist der Buße. Nur so werden wir offen und feinfühlig für Gott und für die Men- schen, nur so erkennen und anerkennen wir den verborgenen Christus in unserer Mitte, machen wir ihn sichtbar und bereiten wir uns in rechter Weise für seine Wiederkunft.

Unsere Abtötung muss zunächst darin bestehen, dass wir uns Überflüssiges versagen, immer wieder einmal, zuweilen gar auch Nötiges. Sodann ist der Ort unserer Buße der hochmütige Stolz, die ungeordnete Sinnlichkeit und die träge Bequemlichkeit, die allzu leicht zur Sünde führen. Das sind Versuchungen, von denen niemand frei ist. Vor allem muss unsere Abtötung darin bestehen, dass wir die Aufgaben, die das Leben uns stellt, tapfer ergreifen und in An- griff nehmen, auch dann, wenn wir lieber etwas anderes täten.

Jeden Tag ein Opfer aus Liebe, aus Liebe zu Gott. Würden wir uns das zur Richtschnur ma- chen, unser Denken und Wollen würde dadurch spürbar gereinigt, und wir würden innerlich freier dadurch. Es geht hier um unsere Heiligung in der Nachfolge des Gekreuzigten. Unsere Selbstbeherrschung und unsere Selbstdisziplin liegen weithin im Argen. Die Erkenntnis muss uns da zu entschlossenem Handeln führen.

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Wenn wir den nicht erkennen und anerkennen, der in unserer Mitte ist und der zugleich der Kommende ist, und wenn wir ihn so wenig sichtbar machen in unserer Welt, so liegt das dar- an, dass wir zwei grundlegende Forderungen Gottes und Christi nur mangelhaft erfüllen, wenn wir sie nicht schon ganz und gar vergessen haben. Diese sind das unablässige Gebet und das Leben im Geist der Buße, das Gebet der Worte oder des Herzens und das Gebet der Sinne, so können wir auch sagen. Durch das immerwährende Gebet und durch die Buße stärken wir unseren Verstand und unseren Willen. Aus dem Gebet der Worte oder des Her- zens und dem Gebet der Sinne erwächst aber die wahre Freude. Wir begehen heute den Sonntag Gaudete. Glücklicher als die Befriedigung unserer Wünsche macht uns der Verzicht darauf. Nicht von ungefähr ist die Freudlosigkeit das „signum“ unserer dem Christentum weithin entfremdeten Zeit geworden. Freude, wahre Freude, wo finden wir sie noch? Spaß ist etwas anderes als Freude. Nicht die Erfüllung unsere Wünsche macht uns froh in der Tiefe und nicht der Tanz um die Götzen unserer Zeit. Daraus erwachsen am Ende Überdruss und Ekel, daraus geht letztlich eine finstere Mentalität hervor. Tiefe und bleibende Freude ist die Frucht des Opfers und des freiwilligen Verzichtes. Sie schenkt uns der, der verborgen da ist, „in unserer Mitte“, wenn wir ihn suchen im Gebet und in Werken der Buße. Amen.

 

PREDIGT ZUM 2. ADVENTSSONNTAG, GEHALTEN AM 7. DEZEMBER 2008 IN
FREIBURG, ST. MARTIN

„BEREITET DEN WEG DES HERRN, MACHT GERADE
SEINE PFADE“

In der Liturgie der Adventszeit begegnet uns wiederholt die Gestalt des Johannes des Täu- fers. Er hat einst die Menschen unmittelbar vorbereitet auf das weltgeschichtliche Ereignis der Erlösung, von dem die Propheten des Alten Testamentes beinahe 1000 Jahre hindurch gesprochen hatten. Wie es Jahrhunderte zuvor mit besonderem Nachdruck der Prophet Je- saja getan hatte, so forderte Johannes nun die Menschen auf, dem Messias den Weg zu be- reiten. Und er bekräftigte seine Predigt durch sein Leben. Er tat das in einzigartiger Weise.

Die Aufforderung des Johannes gilt auch uns. Zwar ist der Erlöser gekommen, aber er kommt immer neu, bis er einst wiederkommt, um die Geschichte unserer Welt zu vollenden, um das Ende des Universums herbeizuführen. Dass wir uns bereiten für das Kommen des Erlösers und wie das geschehen soll, darum geht es in erster Linie in unserem Leben als Christen. Dass das zu geschehen hat, das verkündet uns Johannes mit seinen Worten, wie das zu ge- schehen hat, das verkündet er uns mit seinem Leben.

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Jesus bewundert den Täufer und nennt ihn die größte Gestalt der alttestamentlichen Heils- geschichte. Die Größe dieses Propheten besteht vor allem in seiner unbeirrbaren Konse- quenz. Er ist unbestechlich in seinen Worten wie auch in seinem Verhalten und absolute Ge- radlinigkeit und Tapferkeit bestimmen sein Leben. Er fürchtet sich nicht vor den Menschen, umso mehr aber fürchtet er Gott. Was die Menschen über ihn denken, interessiert ihn nicht, wenn er nur Gott die Ehre gibt und sich selber treu bleibt. Er ist nicht wie ein Schilfrohr im Wind, so charakterisiert Jesus ihn im Matthäus-Evangelium (Mt 11, 7). Das Schilfrohr folgt dem Wind, je nachdem, aus welcher Richtung er kommt, es fällt ihm nicht ein, sich dem Wind entgegenzustellen. Das aber tut  Johannes, er stellt sich dem Wind entgegen. Er denkt und handelt nicht wie alle denken und handeln. Er lebt nicht nach der Devise: Wie komme ich am besten durch! Er geht seinen eigenen Weg und hat den Mut, sich unpopulär zu ma- chen. Er sagt Dinge, die man nicht gern hört, er nennt die Missstände beim Namen, er schmeichelt den Menschen nicht. Er frisiert seine Botschaft nicht, um besser anzukommen. Er sagt die ungeschminkte Wahrheit, er verschleiert sie nicht, die Wahrheit, um Konflikten aus dem Weg zu gehen. Furchtlos tritt er ein für die Forderungen Gottes, ohne Abstriche zu machen. So spricht er vom Zorngericht Gottes und von der Ewigkeitsbedeutung des gegen- wärtigen Augenblicks und ruft dazu auf, dem kommenden Christus den Weg zu bereiten. Dabei hat er hat den Mut, seine Überzeugung, sein Zeugnis mit seinem Tod zu besiegeln, ein Märtyrer zu werden für seine Sendung. Das kann er, weil er weiß, dass der Mensch für die Ewigkeit geboren ist, weil er um die Vorläufigkeit dieses unseres irdischen Lebens weiß und weil er streng ist gegen sich selbst. Die Selbstdisziplin, die Selbstbeherrschung bestimmt sein Leben, nicht das, was man heute Selbstverwirklichung nennt. Er vergisst sich selber und verzehrt sich in seiner Aufgabe, in seiner Sendung. An die Stelle der Selbstverwirklichung tritt bei ihm die Hingabe an seine Aufgabe. Die Hingabe an Gott und an seine Aufgabe, ge- nau das ist sein Leben.

Die geradlinige Konsequenz des Täufers, sein Mut und seine Tapferkeit, seine Selbstlosig- keit und seine Hingabe sind beispielhaft für uns. Folgen wir ihm darin, so bereiten wir Chri- stus den Weg und  finden das wahre Leben. Dann kann Christus immer neu in unser Leben kommen, und dann kann er uns einst wachend finden.

Geradlinigkeit und Mut zum Bekenntnis haben heute leider Seltenheitswert bekommen, auch in der Kirche. Wir sind oft allzu nachgiebig und die Tapferkeit wird ganz klein ge- schrieben bei uns, wenn es um die Wahrheit geht. Niemand will sich die Finger schmutzig machen, wie man zu sagen pflegt. Und alle gehen sie den Weg des geringsten Widerstan- des, um keinen Ärger zu bekommen. Ein solches Verhalten bezeichnet man dann gar noch als Klugheit und macht so aus der Untugend der Nachgiebigkeit und der Ängstlichkeit eine Tugend, ja sogar eine Kardinaltugend.

Allzu oft führt die Halbheit das Szepter in unserem Leben, die sich im Grunde eine subtile Form von Unehrlichkeit entlarvt. Das ist verhängnisvoll für den Einzelnen und für die Kirche. So beherrschen der Opportunismus und die Verschleierung der Wahrheit das Feld. Das ist der eigentliche Grund dafür, dass der Einfluss des Christentums und der Kirche in der moder- nen Welt immer geringer wird. Ein angepasstes Christentum und eine weltförmige Kirche verlieren immer mehr an Attraktion, sie können am Ende niemanden mehr überzeugen. Sie werden dann zu einer Angelegenheit, über die man hinweggehen kann, mit der zu befassen sich nicht mehr lohnt.

Hier liegt der tiefste Grund für das Fehlen von Priester- und Ordensberufen und für das Schrumpfen der Kirche, in unserem angepassten Christentum, in der weltförmig geworde- nen Kirche.

Durch unsere Geradlinigkeit und durch unsere Tapferkeit, durch unsere Selbstlosigkeit und durch unsere Hingabe im Geiste des Täufers bereiten wir Christus den Weg, wenn wir eine klare Sprache sprechen und entschieden handeln, wenn wir nicht heute so und morgen so reden. Damit dienen wir nicht zuletzt auch der Glaubwürdigkeit des Christentums und der Kirche.

Es ist nicht unbedingt christlich, Konflikte vom Zaun zu brechen, aber es ist auf jeden Fall auch nicht christlich, sich vor Konflikten so sehr zu fürchten, dass man ihnen stets aus dem Wege geht.

Johannes handelt sich für seine Geradlinigkeit Kerker und Tod ein. Damit erweist er sich als echter Jünger Christi, dem es nicht viel anders ergangen ist.

Von solchen Zeugen lebt die Kirche, nicht nur am Anfang ihrer Geschichte. Stets lebt die Wahrheit von jenen, die auch den Tod nicht fürchten, in denen sie sich als stärker als der Tod erweisen kann.

Von dem Propheten Elija heißt es im Alten Testament: „Er war ein Prophet wie Feuer. Sein Wort war ein brennender Ofen ... Selig, wer dich sieht und stirbt, denn er wird leben“ (Jesus Sirach 48, 1. 11). Das gilt auch für Johannes, von dem es heißt, dass er in der Kraft und im Geist des Elija gewirkt hat. Ein wenig sollte es auch für uns gelten, für einen jeden von uns.

Der Täufer ist eine lebendige Person in seiner jenseitigen Existenz. Er ist in der Anschauung Gottes. Deswegen können wir ihn nicht nur nachahmen, deswegen können wir ihn auch ver- ehren und als Fürsprecher anrufen. In der Liturgie hat er einen festen Platz, er sollte ihn auch in unserem Leben haben.

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Johannes der Täufer, sein Leben und sein Wirken, müssen uns ein Anlass sein, Gewissens- erforschung zu halten, dass wir uns fragen, wie es mit unserer Vorbereitung auf das Kom- men Christi steht, wie entschieden wir dem kommenden Christus den Weg bereiten. Die Ent- schiedenheit des Täufers muss uns unsere Unentschiedenheit bewusst machen, seine Tapfer- keit muss uns unsere Ängstlichkeit vor Augen führen. Seine Selbstlosigkeit und seine Hin- gabe müssen uns ein Ansporn sein. Seine Konsequenz muss uns unsere Inkonsequenz vor Augen führen.

Der Täufer ist geradlinig und ohne Furcht. Er tritt für die Wahrheit ein, ob es gelegen ist oder ungelegen. Das kann er, weil er weiß, dass der Mensch für die Ewigkeit geboren ist und weil er sich selbst bezwingt. Damit erinnert er uns in eindrucksvoller Weise daran, dass die Wahr- heit meistens unbequem ist, unbequem für den, der sie hört, unbequem auch für den, der sie vertritt.  Damit entlarvt er aber auch ein weltförmiges und innerlich erschlafftes Christentum, das allen Konflikten aus dem Wege geht, in dem die Bequemlichkeit mehr zählt als die Wahrheit Gottes, das sich dem Kommen Christi entgegenstellt und ihm den Weg versperrt.

Dem Täufer bringt seine Entschiedenheit Kerker und Tod, aber die Wahrheit ist stärker als der Tod. Das gilt immer. Wer Christus den Weg bereitet, der braucht nicht einmal den Tod zu fürchten, um wie viel weniger dann die Feindseligkeit und die Hinterhältigkeit der Men- schen. Amen.                         

 

PREDIGT ZUM 1. ADVENTSSONNTAG, GEHALTEN  AM 30. NOVEMBER 2008
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„DER HERR IST MEIN LICHT UND MEIN HEIL, VOR WEM
SOLLTE ICH MICH FÜRCHTEN“

Das entscheidende Thema der Adventszeit ist die Hoffnung, jene Hoffnung, die über die Grenze dieser unserer materiellen Welt und dieser unserer begrenzten Zeit hinausreicht, die hineinreicht in jene Welt, die sich unserer Erfahrung entzieht, die wir jedoch mit unserem Denken erschließen können und von der wir im Glauben wissen. Die Hoffnung prägt unser Leben, das gilt ganz allgemein, sie prägt unser Leben mehr als alles andere. In gewisser Weise kann man sagen: Sie ist unser Lebenselixier, das heißt: Sie hält uns am Leben. In der Hoffnung richten wir immer neu unseren Blick in die Zukunft, weil der Geist uns belebt und weil es daher zu unserem Menschsein gehört, dass wir uns nicht mit der Gegenwart begnü- gen. Leben und genießen, das ist uns zu wenig, weil wir Träger jenes geistigen Prinzips sind, das wir die Geistseele nennen. Immer halten wir Ausschau nach mehr Quantität und nach mehr Qualität. Wenn augenblicklich unsere Wünsche erfüllt werden, entstehen neue in uns. Dabei langt unser Geist über die Welt hinaus, sprengt er die Grenzen dieser unserer Welt.

Der Mensch kommt nicht zur Ruhe in seinem Streben. Stets möchte er noch mehr erreichen, als er erreicht hat. Fortwährend richtet er seine Hoffnung auf Größeres. In dieser Hoffnung überschreitet er selbst den Tod. Wenn er sich nicht bewusst gegen sie stellt und sich ihr ver- sagt, führt sie ihn aus der Endlichkeit in die Unendlichkeit.

Die Hoffnung bedarf ihres Fundamentes. Verliert sie dieses, geht sie ins Leere, hofft sie mehr, als es zu hoffen gibt, dann wird sie zur Vermessenheit. Die übermäßige Hoffnung, die falsche Hoffnung, sie ist das Kennzeichen vieler Menschen heute. Viele hoffen heute mehr als sie vernünftigerweise erhoffen können, und sie hoffen da, wo es eigentlich nichts zu hof- fen gibt. Gleichzeitig wächst in der Gegenwart jedoch die Zahl derer, die nicht mehr hoffen und nichts mehr erhoffen, die kleinmütig sind oder gar verzweifeln. Wir neigen immer zu Extremen.

Die einen erwarten heute alles von der Zukunft, speziell von den unaufhaltsam vorwärtsstür- menden Naturwissenschaften und von dem technischen Fortschritt und setzen auf immer mehr Genuss und Comfort, begrenzen dabei aber ihre Hoffnung auf die Welt der Sinne. Die anderen resignieren und meinen, es gebe überhaupt keine Zukunft mehr für sie. Die einen sind heute von einem grenzenlosen Optimismus erfüllt, die anderen von einem ebenso gren- zenlosen Pessimismus.

Die extrem Hoffnungsfreudigen erwarten von der Zukunft immer mehr Erleichterung, immer mehr Bequemlichkeit und immer mehr Vergnügen und Sinnenfreude. Sie sonnen sich in der Hoffnung, dass das Leben auf dieser Erde immer schöner werden wird, klammern dabei aber den Tod aus. Sie setzen auf große Zukunftsentwürfe, politische Programme, Ideologien und grandiose Verheißungen.

Es gibt so etwas wie eine Hoffnungsbewegung - in unserer westlichen Welt - unter deren Ein- fluss mehr als ein Drittel der Menschheit steht, deren Grundlage irdische Heilslehren sind, deren erklärtes Ziel das Paradies auf Erden ist, von dem man annimmt, dass der Mensch es selber aufbauen kann und dass es schon bald kommen wird.

Nicht weniger groß ist jedoch die Zahl jener Menschen - und sie scheint im Wachsen be- griffen zu sein -, die keine Hoffnung mehr haben, die ohne Hoffnung dahinleben, die nichts mehr von der Zukunft erwarten und die der Zukunft gar mit großen Ängsten entgegensehen, für die es keine irdische Zukunft und erst recht keine jenseitige mehr gibt. Sie leben aus der Erfahrung der Sinnlosigkeit ihres Lebens und steigern das geistige Chaos, das in unserer Welt immer mehr seine faulen Früchte offenbart, jedenfalls denen, die ihre Augen nicht davor verschließen. Es scheint so, als ob die Zahl der Hoffnungslosen bei den jungen Men- schen größer ist als bei den alten, aber auch bei den alten gibt es sie, in wachsendem Maße. Immer mehr Menschen zerbrechen heute an ihrer Hoffnungslosigkeit. Das müssen wir nüch- tern sehen.

Die Verzweiflung hat sich vieler Menschen bemächtigt wie eine schleichende Krankheit. Wie die Statistik uns sagt, beträgt die Zahl derer, die die letzte Konsequenz ziehen aus ihrer Hoff- nungslosigkeit und ihrem Leben ein Ende machen, in unserem Lande mindestens 12 000 im Jahr. Sie übersteigt damit die Anzahl der Verkehrstoten um mehr als das Doppelte. - Aber die Verzweiflung hat viele Gesichter, und wir können ihre weite Verbreitung heute gar nicht so leicht überschätzen. Auf jeden Fall erklärt sie viele sonst unverständliche Handlungen und viele sonst unverständliche Reaktionen der Menschen.

Oft ist es so, dass die übermäßige Hoffnung schließlich in die Verzweiflung hineinführt, dass die Verzweiflung mit der vermessenen Hoffnung beginnt. Nicht selten ruft das eine Extrem das andere hervor. Aber immer ist es so, dass die Extreme an der Wirklichkeit vorbeileben. Das gilt für die Vermessenheit nicht weniger als für die Verzweiflung.

Die rechte Hoffnung ist jene, die einiges von den Menschen erwartet und von dieser irdi- schen Welt, aber nicht alles, die sich dann jedoch vor allem auf Gott und die jenseitige Welt richtet und von daher schließlich alles erwartet. Die irdische Welt ist vergänglich, und die Menschen sind wankelmütig, die jenseitige Welt aber ist unvergänglich, und Gott ist treu.

Das ist der zentrale Gedanke der (zweiten) Lesung des heutigen Sonntags. Wenn wir auf Gott unsere Hoffnung setzen, dann dürfen wir Hoffnung haben, auch wenn die ganze Welt gegen uns steht. Gott enttäuscht uns nicht, er steht zu seinen Verheißungen, aber er steht auch zu seinen Androhungen. Das dürfen wir nicht leichtfertig übersehen.

In Psalm 26 beten wir: „Der Herr ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte ich mich fürch- ten? ... Auch wenn Feinde mich umringen, mein Herz wankt nicht“ (Ps 26, 1). Um eine solche Hoffnung müssen, ja, dürfen wir ringen mit Gott. Darum ermahnt uns der heilige Paulus im Römerbrief, allezeit fröhlich zu sein in der Hoffnung (Rö 12, 12). Nur in der Hoffnung haben wir einen Grund, in der Freude zu leben, in der christlichen Hoffnung, ohne sie ist alle Freu- de flach, vordergründig und ohne ein Fundament. Ein begnadeter Seelsorger unserer Tage (Escriva de Balaguer, + 1975) schreibt: „Unser katholischer Glaube ist herrlich, er erfüllt das Herz mit Hoffnung“, mit realistischer Hoffnung, so möchte man hinzufügen. Der katholische Glaube ist bestimmt von der Hoffnung, er entlarvt alle Illusionen, aber er bewahrt uns auch vor aller Verzweiflung.

Unsere Hoffnung, unsere rechte Hoffnung, so müssen wir sagen, sie ist das entscheidende Thema der Adventszeit, die heute beginnt. Dass wir der Hoffnung wieder die rechte Gestalt geben in unserem Leben, darum geht es, darum sollte es gehen in diesen Wochen.

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Als christliche Hoffnung muss unsere Hoffnung einhergehen mit der steten Bereitschaft für das Kommen Christi, für seine Wiederkunft. Die Welt ist unser Bewährungsfeld für den Tag, an dem der Herr kommt. Wir müssen einmal Rechenschaft ablegen über unser Denken und Reden, über unser Tun und Lassen. Darum dürfen wir nicht in den Tag hinein leben und nicht alles vor uns herschieben, darum müssen wir uns immer bereit halten, denn wir wissen nicht, wann der Herr kommt.

Wachen und beten sollen wir (Mt 26, 41; Mk 13, 33). Aber das eine wie das andere vergessen wir allzu leicht im Alltag mit seinen vielen Zerstreuungen. Wachen, das bedeutet verant- wortlich zu leben, in der Ausrichtung auf Gott und auf die Ewigkeit. Beten, das bedeutet, eine Ordnung des Betens einzuhalten, und darüber hinaus, unablässig und unaufhörlich zu beten. Unaufhörlich beten wir, wenn wir all unsere Arbeiten zum Gebet zu machen und im- merfort das Antlitz Gottes suchen, wie es im 26. Psalm heißt (Ps 26, 8: „Mein Herz spricht zu dir, dein Antlitz suche ich, o Herr“), wenn wir immerfort das Herzensgebet üben und schlicht und einfach mit Gott sprechen über unsere Leiden und über unsere Freuden.

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Es ist die Hoffnung, die dem christlichen Advent das Gespräge gibt. Die rechte Hoffnung ist das entscheidende Thema der Adventszeit. Dass wir neu beginnen, in der Hoffnung zu leben und dieser unserer Hoffnung wieder die rechte Gestalt zu geben in unserem Leben, das ist der eigentliche Sinn dieser liturgischen Zeit des Kirchenjahres. Nur dann dürfen wir Hoff- nung haben, wenn wir wachen Herzens den Herrn erwarten, der Rechenschaft von uns ver- langen wird über unser Denken und Reden und über unser Tun und Lassen.

In diesen Wochen sollen wir es uns wieder einprägen, dass eigentlich unser ganzes Leben ein Advent ist. Die adventliche Besinnung muss uns mehr Gebet und besseres Gebet und wenn es möglich ist, eine gewissenhafte Adventsbeichte bringen, bewusste Treue in der Er- füllung unsere beruflichen Aufgaben und mehr Einsatz für Christus und seine heilige Kirche, dass wir sie nicht instrumentalisieren, wie es allzu oft geschieht, dass wir sie vielmehr be- zeugen durch unser Leben. Amen.

 

PREDIGT ZUM CHRISTKÖNIGSFEST, GEHALTEN AM 23. NOVEMBER 2008
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„MEIN REICH IST NICHT VON DIESER WELT“

Wir feiern am heutigen Christkönigstag einen gekreuzigten König, einen König, dessen Reich nicht von dieser Welt ist. Sein Reich ist ein Reich der Wahrheit und des Lebens, ein Reich der Heiligkeit und der Gnade, ein Reich der Gerechtigkeit, der Liebe und des Frie- dens, vor allem und in erster Linie ist es ein Reich der Wahrheit, denn wo die Wahrheit herrscht, da haben das Leben, die Heiligkeit und die Gnade das Sagen, die Gerechtigkeit, die Liebe und der Friede.  Es ist das Reich dessen, der sich als die Wahrheit, den Weg und das Leben bezeichnet hat, dessen Macht in unserer Welt verborgen ist, aber immer da sichtbar wird, wo die Menschen sich für ihn und seine Botschaft entscheiden. Sein Reich ist nicht von dieser Welt, aber es wirkt in unsere Welt hinein, durch uns soll es in sie hinein- wirken. Bei diesem Reich handelt es sich um eine geistige Wirklichkeit, die letztlich der In- begriff aller menschlichen Sehnsucht ist. Ihm steht das Reich der Lüge gegenüber. Das ist die gottfeindliche Welt, die Gottes Existenz leugnet sowie die göttliche Sendung Jesu Christi und seine Gottessohnschaft. An ihrer Spitze steht der „Fürst dieser Welt”. So nennt ihn Jesus wiederholt im Johannesevangelium (12, 31; 14, 30; 16, 11). Ihm möchte er sein Reich ent- reißen, nicht mit Gewalt, sondern mit friedlichen Mitteln, denn die Grenze des Einsatzes sei- ner Macht ist das menschliche Herz. In unserem Herzen wollte er sich mit unserer Freiheit treffen. In diesem Sinne ist seine Macht verborgen in dieser Welt. Aber er wird einst wieder- kommen, um alle Menschen zu richten. Davon spricht das Evangelium des heutigen Fest- tags. Demnach ist die Herrschaft des Fürsten dieser Welt nur eine vorläufige, die Herrschaft Christi aber eine ewige.

Das Fest vom Königtum Christi will uns daran erinnern, dass wir alle berufen sind, das Reich des gekreuzigten Christus, sein Reich der Wahrheit in dieser Welt aufzurichten durch unser Glaubenszeugnis und durch unser Leben aus dem Glauben und dass wir, wenn wir uns als Bürger dieses Reiches bewähren, es auch sein dürfen, wenn dieses Reich endgültig aufge- richtet wird. Sagen wir es mit anderen Worten: Wenn wir uns in den Dienst des Christus- königs stellen, werden wir mit ihm siegen, dann wird es mit uns ein gutes Ende nehmen, mögen auch die Niederlagen noch so zahlreich sein, in denen wir unterliegen.

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Unser Einsatz für das Reich Christi ist ein Einsatz für die Wahrheit. Das Reich des Fürsten die- ser Welt ist vor allem und in allem durch die Lüge bestimmt. In den Evangelien wird es wie- derholt als Reich der Finsternis bezeichnet. Die Wahrheit ist wie das Licht, die Lüge ist wie die Finsternis. Die Lüge und die Finsternis herrschen überall da, wo man dem Fürsten dieser Welt huldigt, wo man sich ihm unterwirft und wo man ihm seine Aufwartung macht.

Nichts charakterisiert das Böse besser und richtiger als die Unwahrhaftigkeit, als das Wider- streben gegen die Wahrheit. Der Widersacher Gottes, der Teufel, ist der Vater der Lüge. So charakterisiert Jesus ihn (Joh 8, 44). Unerbittlich kämpft er gegen ihn, in seinen Worten und in seinen Taten. So erklärt er einmal: „Wenn ich durch den Finger Gottes die Teufel aus- treibe, dann ist in Wahrheit das Reich Gottes zu euch gekommen“ (Lk 11, 20). Die Teufel austreiben, das tut er in seiner Verkündigung und in seinen Wundern, durch Wort und Tat.

Die Macht der Lüge wird uns nicht nur in den heiligen Schriften bezeugt, in unserer gottent- fremdeten Welt erfahren wir sie jeden Tag aufs Neue, wenn wir nur die Augen aufmachen. Die gottabgewandte Welt ist eine Welt der Lüge: Sie wiegt sich in Sicherheit, wo Unsi- cherheit ist, sie nennt das Böse gut und das Gute schlecht, sie maßt sich göttliche Ehren an und erklärt Gott zu einem Gebilde der Phantasie des Menschen, sie wähnt sich glücklich im Unglück und flieht das wahre Glück.

Der Pakt mit der Welt ist ein Pakt mit der Lüge, und jede Sünde beginnt mit der Unwahr- haftigkeit. Für gewöhnlich sagen wir, der Stolz und der Hochmut seien die Quelle aller Sün- den. Das ist nicht falsch. Aber der Stolz und der Hochmut, sie gehen aus der Lüge hervor. Die Lüge ist das Kernübel. Die Ursünde ist die Sünde des Stolzes, aber sie beginnt mit der Lüge des Vaters der Lüge: „Ihr werdet sein wie Gott“, heißt es da (Gen 3, 5). Im Stolz und im Hochmut belügen wir uns selber und unsere Mitmenschen, verstellen wir uns und schließen wir die Augen vor der Wirklichkeit, weil wir nicht die sein wollen, die  wir sind, und die Herr- schaft Gottes nicht wahr haben wollen.

Die Wahrheit hat immer zwei Aspekte: Im Hinblick auf die Vergangenheit und die Gegen- wart fordert sie von uns die Wahrhaftigkeit, im Hinblick auf die Zukunft die Treue. Deshalb heißt Christus, der sich selbst die Wahrheit genannt hat, im letzten Buch der Heiligen Schrift der Wahrhaftige und der Treue (Apk 19, 11; 3, 14). Von daher gesehen ist nicht nur die Un- wahrhaftigkeit Lüge, sondern auch die Untreue oder die Treulosigkeit. Und wie durch die Unwahrhaftigkeit und die Treulosigkeit alles wertlos wird, so erhält alles erst seinen Wert durch die Wahrhaftigkeit und die Treue. Selbst die Liebe zu Gott und zum Nächsten, von der wir sagen, dass sie das Hauptgebot ist, auch sie ist wertlos ohne das Fundament der Wahr- haftigkeit und der Treue. Sie wird ein Zerrbild ihrer selbst, wo sie nicht gepaart ist mit der Ehrlichkeit. Darum ist der Weg der Nachfolge Christi in seinem tiefsten Wesen ein Weg der Wahrhaftigkeit und der Treue.

Wenn wir unsere Welt mit offenen Augen betrachten, erkennen wir, dass heute allzu viele Menschen den Holzweg der Täuschung, der Selbsttäuschung und der Fremdtäuschung, und den Holzweg der Treulosigkeit gehen. Die Unwahrhaftigkeit wie auch die Untreue beherr- schen alle Bereiche unserer Welt, im gesellschaftlichen, im politischen, im wirtschaftlichen, im beruflichen und auch im privaten Leben so sehr, dass einem zuweilen angst und bange werden kann, wenn einem die Einsicht gegeben ist. Und nicht selten lässt sich auch die Kir- che in diesen Strudel hineinziehen. Das Unheil, das uns heute in vielfacher Gestalt trifft, in den meisten Fällen gründet es in unserer Abwendung von der Wahrheit und von der Tugend der Wahrhaftigkeit sowie wir in unserer Treulosigkeit. Das ist der Sold unserer Abwendung von Gott, von Christus und von seiner Kirche und der Sold unserer Hinwendung zu dem Fürsten dieser Welt.

Die Feier des Christkönigsfestes will uns daran erinnern, dass es unser aller Berufung ist, das Reich Christi in dieser Welt zu bauen durch unsere Wahrhaftigkeit und Treue, auch und vor allem in den kleinen Dingen des Alltags. Das bedeutet, dass wir uns nicht blenden lassen von dem Scheinglück dieser Welt, dass wir uns auseinandersetzen mit dem Fürsten dieser Welt und dass wir bereit sind Spott, Verachtung und gar Verfolgung auf uns zu nehmen. Da bei brauchen wir heute den Geist des Martyriums, den Gott uns schenkt, wenn wir ihn darum bitten.

In den Evangelien begegnet uns immer wieder der Aufruf Jesu: „Fürchtet euch nicht“ (Mt 10, 28; 14, 27; Lk 2, 10 …). Er gilt auch uns, heute mehr denn je. Wenn wir unsere kreatürliche Furcht überwinden im Vertrauen auf die Gnade Gottes, dann sind wir unüberwindlich, dann können wir das Kommen des Herrn in Gelassenheit, ja, in Freude erwarten.

Immer wieder müssen wir es uns sagen, dass der Sieg der Unwahrhaftigkeit und der Treulo- sigkeit nur ein vorläufiger ist, gleichwie die Ohnmacht des Gekreuzigten nur eine scheinbare Ohnmacht ist.

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Es kommt die Stunde der Abrechnung. Das Reich der Wahrheit wird das Reich der Lüge ein- mal endgültig ablösen. Dann gilt das Wort Jesu: „Selig jene Knechte, die der Herr wachend findet, wenn er kommt“ (Lk 12, 37), denen, die sich im Leben als Kinder der Wahrheit oder des Lichtes bewährt haben. Ob wir es wahr haben wollen oder nicht, die Wahrheit wird uns einholen, die Scheidung wird einst kommen. Wer immer sich in seinem Denken und Tun der Wahrhaftigkeit und Treue verpflichtet weiß, der hat den Weg zum Leben gefunden, zum ewigen Leben, zu einem Leben, das keinen Tod mehr kennt. Amen.

 

PREDIGT ZUM 33. SONNTAG IM KIRCHENJAHR, GEHALTEN AM 16. NOVEMBER 2008
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„WIRKET, SOLANGE ES TAG IST“

Die letzten Sonntage des Kirchenjahres stehen im Zeichen der letzten Dinge: Tod, Gericht, Himmel, Hölle, Fegfeuer. Sie, die letzten Dinge, sind das Ziel unseres Lebens in dieser un- serer Zeitlichkeit. Auf sie hin bewegt sich unser Leben, unaufhaltsam, und niemand entrinnt ihnen, auch jene entrinnen ihnen nicht, die die Augen vor ihnen verschließen oder sich trot- zig gegen sie wehren. Die letzten Dinge bedingen die Bedeutungsschwere unseres Lebens, die einerseits in der Verantwortung besteht, die wir tragen, in der Ewigkeitsverantwortung, die uns auferlegt ist, andererseits in der Vollendung, die Gott uns schenken will und die uns tröstet in den mannigfachen Leiden dieser Zeit.

Unser Leben ist wie der Aufstieg auf einen hohen Berg: Der Weg ist steinig, steil und be- schwerlich, nicht immer, aber oftmals, zuweilen können wir beschwingt einherschreiten und  die Beschwernisse des Weges vergessen, immer aber liegt der Gipfel im Nebel, so dass wir zu keiner Zeit abschätzen können, wann wir oben sein werden, so dass wir zu keiner Zeit wi- ssen, wie lange es noch geht, bis wir am Ziel sein werden. Zuweilen geschieht das schneller als wir gedacht haben, aber wenn wir dann oben sind, ist alles geschafft, ist alle Mühe ver- gessen. Dann gibt es jedoch keinen Abstieg und auch keinen zweiten Aufstieg mehr. Wenn wir oben sind, haben wir das Ziel erreicht, zu dem Gott uns berufen hat, wir kommen jedoch nur dann nach oben, wenn wir unterwegs nicht liegen bleiben, wenn wir - um es ein wenig salopp zu sagen - nicht schlapp machen. Geschieht das, dann ist alles verloren, dann errei- chen wir das Ziel niemals, dann kommen wir nicht zum Gipfel, das heißt: zu Gott, dann verfallen wir den Qualen der ewigen Verlorenheit und der ewigen Sinnlosigkeit. Dieses „schlapp machen“ müssen wir jedoch recht verstehen. Es ist nicht wie ein Verhängnis, das über uns kommt. Wenn es uns trifft, sind wir selber schuld daran. Denn Gott führt uns, und seine Gnade unterstützt uns. Wir müssen uns allerdings führen lassen von ihm und mit seiner Gnade mitwirken.

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An diese Zusammenhänge erinnert uns das heutige Evangelium, das Evangelium von den Talenten. In einem einprägsamen Bild, in einem Gleichnis, spricht es von der Bedeutungs- schwere unseres irdischen Lebens. Drei wichtige Wahrheiten unterstreicht es, drei Wahr- heiten, die viele heute als Zumutung empfinden, wenn sie sie nicht gar einfach bestreiten, um sie aus dem Wege zu räumen. Diese drei Wahrheiten sind folgende:

Erstens: Der Mensch ist frei, daher trägt er Verantwortung für sein Leben. Zweitens: Die An- lagen, die Fähigkeiten und die Möglichkeiten der Menschen sind verschieden, weshalb nicht von allen das Gleiche gefordert wird. Drittens: Von allen aber erwartet Gott, dass sie sich be- mühen. Dazu nur einige Erkläungen:

Erstens: Der Mensch ist frei. In der Zeit der Reformation, vor beinahe 500 Jahren, hat man ge- sagt, die Erbsünde sei so übermächtig, dass der Mensch gar seine Freiheit verloren habe, er könne nichts Gutes mehr tun, alles, was er tue, sei Sünde, es bleibe ihm daher nichts ande- res übrig, als das Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit zu setzen. Heute wird diese eigentlich pessimistische Lehre aufs Neue verkündet, diesmal allerdings ohne den religiösen Hinter- grund. So geschieht das, wenn man sagt, alle Entscheidungen und jegliches Handeln des Menschen sei von seinen Trieben und von seiner Umgebung bestimmt. Mal wird dabei die Bindung des Menschen an seine Triebe stärker betont, mal sieht man dabei mehr auf seine Bindung an die Umgebung. Man sagt dann, die Freiheit des Menschen sei eine große Illu- sion, damit ist dann aber auch seine Verantwortung illusionär. Daraus folgert man - konse- quent -, dass jede Strafe, ganz gleich in welcher Form, ein Unrecht ist, in der Kinderer- ziehung wie auch in der Rechtspflege der Gesellschaft, und dass es so etwas eigentlich nicht geben darf. Dann kann es nur noch so etwas geben wie Dressur, in der Erziehung wie auch in der Rechtspflege. Diese Konsequenz ziehen zwar nicht alle, aber doch viele.

Einem solchen Denken liegt in jedem Fall ein Menschenbild zugrunde, nach dem der Mensch sich nicht mehr vom Tier unterscheidet, jedenfalls nicht wesentlich, da ist der Mensch nicht mehr als ein hoch entwickeltes Tier. Richtig ist an solchen Überlegungen, dass die Freiheit des Menschen oft eingeschränkt ist durch äußere Verhältnisse oder auch durch innere Blockaden, dass das genaue Maß der Schuld oft nicht anzugeben ist und dass die wahrhaft Schuldigen nicht selten die sind, die nach außen hin eine weiße Weste haben.

Dennoch ist der Mensch frei und trägt er Verantwortung für sein Tun, trägt er Verantwortung vor den Menschen und vor Gott. Daher kommt er nicht an dem Gericht Gottes vorbei. Den menschlichen Gerichten werden nur die Rechtsbrecher überantwortet, und von ihnen ent- gehen ihm nicht wenige, dem göttlichen Gericht aber unterliegt ein jeder von uns, und nie- mand entgeht ihm.

Der zweite Gedanke, den das Gleichnis enthält, ist der, dass die Anlagen und Möglichkeiten der Menschen verschieden sind. Manche empfinden das heute als ein großes Unrecht, heute mehr als je zuvor, oder sie wollen es nicht wahr haben und verschließen die Augen davor. Die Tendenz zur Gleichmacherei, zur Nivellierung, ist daher sehr groß in der Gegenwart. Das sozialistisch-marxistische Denken ist eben sehr mächtig, und die Massenmedien verbrei- ten es mit verbissenem Eifer. Es ist jedoch töricht, die Augen vor der Verschiedenheit der Menschen zu verschließen oder den Kopf in den Sand zu stecken. Die Wirklichkeit wird da- durch nicht anders: Man kann Menschen belügen, nicht aber Gott. Wenn wir die Augen zu machen, hören die Dinge, die wir dann nicht mehr sehen, nicht auf zu existieren! Im Gleich- nis erhalten nicht alle die gleiche Anzahl von Talenten. Das ist nicht ungerecht, wenn von dem, der mehr erhalten hat, mehr verlangt wird als von dem, der weniger erhalten hat. 

Für uns ist die Verschiedenheit der Gaben, die die Verschiedenheit der Aufgaben zur Folge hat, zugleich Ansporn und Trost. Trost, weil niemand überfordert wird, Ansporn, weil es ohne den Einsatz keinen Lohn gibt.

Damit sind wir schon bei dem dritten Gedanken angekommen: Gott erwartet von einem je- den, dass er sich anstrengt. Niemand darf der Trägheit und der Faulheit Raum geben. Es geht hier ums Ganze. Im Gleichnis bleibt einer von Dreien sozusagen im Regen stehen. Der, der sein Talent vergraben hatte.

Wenn wir unsere Talente vergraben, vielleicht missmutig darüber, dass wir nur eines erhal- ten oder dass die anderen mehr erhalten haben, so hat das unausdenkbare Folgen für uns, Folgen über den Tod hinaus, Folgen, die in die Ewigkeit hineinreichen, in jene Ewigkeit, der wir nicht entrinnen können, der niemand von uns entrinnen kann.

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Gott hat uns als freie Wesen geschaffen. Das ist zugleich unser Adel und unsere Bürde. Denn die Freiheit bedingt unsere Verantwortung. Diese ist jedoch nicht für alle die gleiche. Denn Gott verteilt die Talente, wie er es will. Aber von dem, der mehr Talente empfangen hat, for- dert er auch mehr zurück. Wer seine Kräfte nicht einsetzt und seine religiösen und ethischen Möglichkeiten nicht verwirklicht, wer seine Talente vergräbt, wer sich nicht bemüht, der er- reicht den Gipfel nicht, den wird Gott aussperren, der wird am Ende vor der verschlossenen Tür stehen. Wir leben nur einmal. Vieles können wir wiederholen im Leben, vieles können wir auch korrigieren oder auch wieder gutmachen. Die Prüfung des Lebens können wir als solche jedoch nur einmal machen, niemals können wir sie wiederholen. Darum muss die Kirche in erster Linie das Wort Jesu verkünden: Wirket, solange es Tag ist (Joh 9, 4). - Tut sie es auch heute noch mit letzter Konsequenz? Amen.